Mit dem FontanaMixer von Karlheinz Essl lassen sich ungewöhnliche Ideen für die eigene Klanggestaltung gewinnen. Damit hat Essl nicht nur eine berühmtes Komposition von John Cage umgesetzt – sondern auch noch um eine spannende Dimension erweitert.
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„Wenn du keine neue Software schreibst, schreibst du auch keine neue Musik“, diktierte Komponist Evan Merz einmal der „Beat“ in die Feder. Ganz so würde sein Kollege Karlheinz Essl das wohl nicht unterschreiben. Doch auch sein „Fontana Mixer“ weiss die Vorzüge hoher Rechenleistungen für sich zu nutzen. 2004 erhielt Essl den Auftrag, „Fontana Mix“ zu realisieren, eines von John Cages einflussreichsten Stücken und ein frühes Beispiel der graphischen Notationsvorlagen, für welche dieser schon bald internationale Bekanntheit genießen sollte: Durch das Übereinanderlegen von mit Linien bedruckten Papierseiten und mit Punkten versehenen Klarsichtfolien sowie dem anschließenden Verbinden der Punkte auf einem Raster ensteht ein persönlicher „Noten“-Text, der den Aufführenden einerseits eindeutige Vorgaben macht, andererseits aber auch erhebliche Freiheiten einräumt. „Fontana-Mix“ kann von beliebigen Instrumenten und beliebig vielen Musikern umgesetzt werden und weil jeder von ihnen dabei seine eigene Partitur erstellt, gleicht keine Aufführung der nächsten. Essl war von der Aufgabe fasziniert, sah sich aber mit einem praktischen Problem konfrontiert: Die Ermittlung tausender möglicher Parameter hätte ihn schlicht Monate gekostet. So verfasste der Wiener ein Computer-Programm für die Aufgabe – und ging damit sogar noch über die ihm gestellte Aufgabe hinaus.
Denn, so betont Essl, sein FontanaMixer ist nicht nur eine Eins-zu-Eins-Übertragung der Cage'schen Idee auf ein digitales Medium, sondern eine „weiterführende Interpretation des ursprünglichen Konzepts, mit dem ich in Bereiche vorstoße, die mich als Komponisten seit Langem fesseln: Die algorithmische Gestaltung von Prozessen in Echtzeit, die sich in unvorhersehbarer Weise entwickeln und damit so etwas wie klanggewordene Natur hörbar machen. Damit kann ich wieder zum Zuhörer werden und mich überraschen lassen, was der Zufall an Geschenken bringt.“ Das Ergebnis ist also vor allem ein „Experimentierfeld zur Erforschung klanglicher Prozesse“, woraus sich implizit ergibt, wie man es idealerweise nutzt: Nachdem man den Algorithmus mit eigenen Samples und Sounds gefüttert hat, kann man ihnen entweder entspannt oder angeregt beim Entfalten zuhören und erhält einen neuen Blickwinkel aufs eigene Material, kann Ideen sammeln und sich danach mit frischer Energie an die Arbeit machen. |
User-Interface des FontanaMixer (2004)
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Weg vom EgoCage hätte gewiss Gefallen gefunden an Essls Herangehensweise, denn auch ihm sagte die Vorstellung zu, dass ein Werk nicht vornehmlich vom Willen des Komponisten abhängt. Vielmehr ging es ihm darum, das Ergebnis über die Ego-Bedürfnisse der Beteiligten herauszuheben. Seine Methoden waren dabei derart unkonventionell, beziehungsweise im Kontext der bedeutend dogmatischeren 50er und 60er sogar derart provozierend, dass sie teilweise in der medialen Betrachtung mehr Beachtung fanden als die Musik selbst. Konsequenterweise ist Cage heute vor allem für seine schillernden Bonmots bekannt und könnte man Bände mit seinen Annekdoten füllen. Auch Karlheinz Essl hat eine auf Lager und zwar zur Aufführung von Cages Klavierkonzert: „Als Moderator für dieses Konzert war Heinz-Klaus Metzger eingeladen worden, der den Abend mit einer spitzfindigen philosophischen Befragung des Materialbegriffs einleitete und nach einer Viertelstunde schließlich den ruhig neben ihm auf der Bühne verweilenden Komponisten die Frage stellte, woher denn eigentlich die Klänge kämen, mit denen er operierte. Cage war sich offensichtlich der Doppelbödigkeit dieser tiefsinnigen Frage nicht bewusst, denn er gab nach einer kurzen Schrecksekunde nur: "I suppose from the instruments" zur Antwort, was schallendes Gelächter im Publikum zur Folge hatte und den sprachgewandten Theoretiker verstummen ließ.“Hinter der scheinbaren Naivität verbirgt sich eine tiefe Weisheit: Im Zufall steckt bedeutend mehr Kreativ-Potential als in der menschlichen Vorstellungskraft. Wer den Fontana-Mixer laufen lässt, stellt dabei schon sehr schnell fest, dass der Prozess der Klangentfaltung kein natürliches Ende aufweist und potentiell bis in die Ewigkeit fortgeführt werden könnte. Manche der spannendsten Kombinationen ergeben sich vielleicht erst nach Monaten oder Jahren, doch so lange braucht nun wirklich keiner zu warten: Essl hat die Algorithmen bewusst so gestaltet, dass man zu jeder Zeit ein stimulierendes und spannendes Hörerlebnis erhält und das Ergebnis, wie er es schlicht auf den Punkt bringt, „nie langweilig wird“. Das, so steht fest, war Cage auch immer viel wichtiger als der Persönlichkeitskult, der in den späten Jahren seiner Karriere zunehmend um ihn betrieben wurde. |
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Updated: 18 Sep 2011