Portrait
Karlheinz Essl

Strukturgeneratoren

Algorithmische Komposition in Echtzeit

Beiträge zur Elektronischen Musik, Band 5, hrsg. Robert Höldrich
Sonderband zur Ringvorlesung Die Klangwelt am Rande der Datenautobahn
Institut für Elektronische Musik der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz
Graz 1996

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Inhalt

  1. Abstracts:
  2. Einleitung
  3. Serielle Theorie
  4. Zur Theorie der Strukturgeneratoren
  5. Real Time Composition Library
  6. Lexikon-Sonate
  7. Literaturverzeichnis


Abstracts

Mit der Entwicklung von interaktiven Programmierumgebungen wie Max ist es möglich geworden, Kompositionsalgorithmen als Generatoren zu implementieren, die musikalische Strukturen in Echtzeit erzeugen können.

Grundlegend dafür ist das Konzept des Strukturgenerators, das sich theoretisch sowohl auf serielle Denkweisen als auch auf die bahnbrechenden Pionierarbeiten von Gottfried Michael Koenig bezieht: eine musikalische Struktur wird demnach als mögliche Variante einer allgemeineren Meta-Struktur ("Modell") verstanden, deren Eigenschaften durch Veränderung der Modellparameter gesteuert werden können.

1992 hat der Autor begonnen, für Max eine umfassende Bibliothek von Softwaremodulen zu erstellen, mit deren Hilfe solche Strukturgeneratoren programmiert werden können. Diese Real Time Composition Library umfaßt verschiedene Kategorien von Objekten: Zufallsgeneratoren, Selektionsmechanismen, Harmonie- und Rhythmusgeneratoren sowie umfangreiche Listen- und Toolbox-Funktionen. Mit Verwendung dieser Library (die mittlerweile in der Version 2.2 vorliegt) wurde die interaktive Echtzeitkomposition Lexikon-Sonate (1992 ff.) für computergesteuertes Klavier erstellt, die in dem vorliegenden Text analysiert wird.


Thanks to the development of interactive programming environments such as Max, compositional algorithms can now be implemented as generators which are capable of creating musical structures in real time.

This approach is based on the concept of structure generators which are drawn from serial philosophy of the 1950's as well as Gottfried Michael Koenig's primary research on composition theory. Here musical structure is viewed as one possible variant drawn from a more general meta-model, whose properties can be controlled by changing the system's parameters.

In 1992, the author started to develop a library of software modules written in Max for easy implementation of structure generators. This Real Time Composition Library is composed of different classes of objects: random generators, selection mechanisms, harmony and rhythm generators, list operations and toolbox functions. Lexikon-Sonate (1992 ff.), an interactive real time composition for computer-controlled piano, was created using this library and it will be analysed in the following article.


Einleitung

Dieser Aufsatz widmet sich der Frage, wie mit Hilfe des Computers komponiert werden kann, welches die theoretischen Voraussetzungen dafür sind und wie sich dies in der Praxis gestaltet. Zentraler Punkt meiner Überlegungen ist das Konzept des Strukturgenerators, ein als Computerprogramm implementiertes kompositorisches Modell. Als wichtiger Anreger fungiert für mich Gottfried Michael Koenigs Projekt 1 (1964-66), das er an der Universität Bonn entwickelt hatte und die Idee des Strukturgenerators in bündiger und gut dokumentierter Form an die Öffentlichkeit brachte. Koenigs Computerprogramm war ursprünglich dazu konzipiert, eine Reihe von Strukturvarianten aus einem einzigen kompositorischem Modell abzuleiten, um damit eine ganze Werkreihe zu komponieren. Das ursprünglich in FORTRAN II geschriebene Programm selbst ist fixiert und geschlossen; der Benutzer kann zwar über Menüs die Eingabendaten manipulieren, den Verlauf der Berechnung aber darüber hinaus nicht beeinflußen.

Der Nachfolger - Projekt 2 - erlaubt es dem Benutzer nun, weitgehend Einfluß auf den Berechnungsvorgang selbst zu nehmen. Durch Ausfüllen eines 60teiligen Fragebogens kann er nicht nur die Parameterdaten eingeben, sondern auch bestimmten Verarbeitungsalgorithmen auswählen. Trotzdem erweist sich auch dieses Programm als hermetisch geschlossen: die Interaktion mit dem Computer setzt die Beantwortung aller 60 Fragen zwingend voraus.

Koenigs grundlegende und unendlich wertvolle Ansätze wurden von mir nun erweitert: statt eines geschlossenen Programmes habe ich nun ein offenes und erweiterbares, modular aufgebautes "Programmier-Environment" geschaffen, mit Hilfe dessen verschiedenste Strukturgeneratoren konstruiert werden können. Diese generieren nun ihre Resultate in Echtzeit ("Realtime Composition"), was einen interaktiven Live-Einsatz ermöglicht. Anders als bei Koenig handelt es sich dabei nicht um ein geschlossenes Programm, sondern um eine Bibliothek von Softwaremodulen, mit denen Strukturgeneratoren programmiert werden können.

Bevor ich aber zu diesem Punkt vorstoße, möchte ich zunächst die theoretischen Grundlagen diskutieren, die sich - historisch - auf serielle Denkweisen beziehen, die in der von mir formulierten Theorie der "Realtime Composition" weitergedacht wurden.

Mein Konzept der Strukturgeneratoren basiert wesentlich auf Erkenntnissen der seriellen Kompositionstheorie, die in Bezug auf das Medium Computer weiterentwickelt wurden. Ich möchte im folgenden Kapitel die verschiedenen Aspekte des Seriellen Denkens darstellen, die als Ausgangspunkt für die Idee der "Realtime Composition" dienen.


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Anmerkungen

Gottfried Michael Koenig, "Projekt 1" - Modell und Wirklichkeit (1979); in: ders., Ästhetische Praxis. Texte zur Musik, hrsg. von Stefan Fricke und Wolf Frobenius, Bd. 3 (Saarbrücken 1993), S. 223 - 230.

Aus dieser Werkreihe sind zwei Ensemblestück - Projekt 1 - Version 1 (1965/66) und Projekt 1 - Version 3 (1967) bei Edition Peters (London) erschienen. Letzteres wurde 1969 vom Ensemble "die reihe" unter der Leitung von Kurt Schwertsik in Wien uraufgeführt.

Gottfried Michael Koenig, Project 2 / 82 - a program for musical composition. Manual (Instituut voor Sonologie, Utrecht 1983) - Siehe auch: ders., Über meine Projekte 1 und 2; in: Texte, a.a.O., Bd. 3, S. 350-357.


Literaturverzeichnis



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Updated: 7 Feb 2024

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