Richard Brem
Als in den 1950er Jahren die ersten Großcomputer in Betrieb gingen, da experimentierten Programmierer bald auch schon mit kreativen und künstlerischen Anwendungsformen. Und auch Künstler selbst begannen sich damals schon mit den Möglichkeiten zu beschäftigen, die Computer ihnen boten. Aus jenen Jahren stammen erste Experimente etwa in den Bereichen computerisierter Texterzeugung oder computergenerierter Musik.
Eine Schlüsselfigur in diesem Zusammenhang ist der 1925 in Deutschland geborene Komponist Gottfried Michael Koenig, der als einer der frühen Pioniere der elektronischen Musik und der algorithmischen und softwarebasierten Komposition gilt. Sein 1959 komponiertes Streichquartett, das dieser mit Hilfe von Zufallsoperationen geschrieben hatte, haben auch den künstlerischen Werdegang des österreichischen Komponisten Karlheinz Essl entscheidend beeinflusst. Essl schrieb in den 1980er Jahren nicht nur einen analytischen Text über das Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit in Koenigs Streichquartett, sondern begann sich nachfolgend auch selbst sehr eingehend mit algorithmischer Komposition und generativer Musik zu beschäftigen.
Okopenkos Lexikon-Roman gilt als einer der ersten literarischen Hypertexte. Man liest ihn nicht wie einen gewöhnlichen Roman von vorne nach hinten, sondern bewegt sich durch eine Hypertext-Struktur, die aus 700 kleinen Kapiteln besteht, die wie in einem Lexikon über Verweispfeile miteinander verbunden sind und nicht linear, sondern in einer höchst individuellen Reihenfolge gelesen werden.
"Die ursprüngliche Idee war", erinnert sich Essl, "dass ich für jedes dieser 700 Kapitel eine Art kleine Signation komponiere, die jedes Mal, wenn das Kapitel aufgesucht wird, abgespielt wird. Nach der Lektüre des Buches ist mir allerdings bald klar geworden, dass es so nicht funktionieren kann, weil ich in einem Kapitel ja lange Zeit über diesen wunderbaren Text von Okopenko meditieren kann. Da muss die Musik natürlich weitergehen und darf nicht im Loop laufen - das wäre unerträglich. Weil ich mich zu der Zeit zufälligerweise intensiv mit den Fragen der Algorithmik und der generativen Musik beschäftigt habe, habe ich sofort erkannt, dass das genau der richtige Ansatz für die musikalische Untermalung des Romans ist. Und so entstand dann im Laufe von einigen Jahren meine Komposition 'Lexikonsonate', die in keinster Weise die Anforderungen erfüllt, die man gemeinhin an ein Musikstück hat: Es hat weder eine Partitur, es hat weder eine bestimmte Dauer und es hat nicht einmal einen Pianisten, weil das Stück von einem Computer in Echtzeit gerendert und von einem Klavier gespielt wird, das eine Spielmechanik eingebaut hat und auf Computerbefehl seine Tasten bewegt."
"Karlheinz Stockhausen hat einmal gesagt: 'Was wir in der Musik machen, hat mit Mathematik nichts zu tun - das sind Milchmädchenrechnungen.' Und ich glaube, er hat wirklich recht. Was wir tun, ist mathematisch betrachtet auf einer ganz ganz einfachen Ebene angesiedelt. Ich beschreibe Proportionen, es geht um Verhältnisse, um Relationen - die lassen sich gut mit Zahlen ausdrücken, aber es gibt auch vieles in meinen Kompositionen, das nichts mit Zahlen zu tun hat, sondern mit Vorstellungen des Klanges und mit Energieflüssen und formalen Veränderungen."
Speziell im Bereich Grafik-Design und animierter Datenvisualisierung erfreuen sich generative Gestaltungsprinzipien immer größerer Beliebtheit. Einen Überblick darüber, was Grafiker, Designer und visuell arbeitende Künstler mit generativen Tools und Prinzipien erschaffen, gibt ein vor kurzem erschienenes und bereits vielbeachtetes Buch mit dem Titel Generative Gestaltung.
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Updated: 30 May 2010