Doing trans-Art...

Karlheinz Essl im Gespräch mit Astrid Rieder
Salzburg/Wals, 2. Juni 2023

Erstsendung: Radio FRO 24.10.2023


KHE+AstridRieder_2023

Astrid Rieder und Karlheinz Essl
Salzburg, 2.6.2023


Karlheinz Essl über die Frage, wie man in der Dunkelheit eines Krieges vor unseren Grenzen überhaupt noch Kunst machen kann, über trans-Art als Rückkopplungsprozess von Bild und Ton und die Challenge, sich nicht zu wiederholen.


Trailer der trans-Art Performance mit Astrid Rieder & Karlheinz Essl


Karlheinz Essl war Astrid Rieders Performancepartner in der trans-Art Performance am 2. Juni 2023. Mit dem Komponisten, Elektronikmusiker, Medienkünstler und Software-Designer fand ein analoger hochempfindlicher Synthesizer Einzug in Astrid Rieders Atelier. Nachdem Karlheinz Essl über Jahrzehnte Erfahrung mit digitalen Werkzeugen gesammelt hat, stellt er sich nun der Herausforderung eines Neubeginns mit einem rein analogen modularen Synthesizer: allein aus den Schwingungen des Systems möchte er das Gerät zum Klingen bringen. Mit diesem Wechsel zum Analogen gewinnt auch die Haptik an Relevanz. Die Bedienung des Instruments wird transparent, genauso wie die trans-Art Performance den Akt des Zeichnens sichtbar macht. Karlheinz Essls Verzicht auf Vertrautes in Bezug auf die Wahl seines Werkzeugs ist ganz im Sinne der trans-Art, zumal das Moment des Unbekannten, gerade erst im Entstehen begriffene der Kunstform inhärent ist. Wie das klingt, hören Sie in dieser Sendung.



Astrid Rieder: Lieber Karlheinz, du wirst einen von dir verwendeten Synthesizer heute in meinem Atelier vorstellen und ihn auch bei der trans-Art Performance einsetzen. Ich bin schon sehr gespannt! Könntest du uns bitte etwas darüber erzählen?

Karlheinz Essl: Dieser kleine unkonventionelle Synthesizer funktioniert ganz anders, wie man es gewohnt ist. Er hat zum Beispiel keine Tastatur. Ich bediene ihn nur mit kleinen Drehknöpfen, die so empfindlich sind, dass ein zehntel Millimeter eine unglaublich starke Änderung bewirken kann. Deswegen bin ich äußerst vorsichtig und sensibel, und reagiere sehr stark auf das, was mich umgibt, vor allem natürlich die Performance von Astrid Rieder auf ihrem 200-Gramm-Zeichenkarton. Gemeinsam werden wir dann ein Bild gestalten, wo der Ton das Bild beeinflusst und das Bild den Ton. Also es ist eine Art Rückkopplungsprozess.

AR: Ja, und ich möchte mich auch ganz besonders bei dir bedanken, dass du im Zeit-Ton Magazin letzten Mittwoch unsere Performance aus dem Jahr 2020, das war die 50. do transArt Performance, dass du davon erzählt hast. Und wie war diese Performance und was hat dich diese Performance in deinem Schaffen verändert vielleicht?

Karlheinz Essl über die trans-Art Performance mit Astrid Rieder
Ö1 Zeit-Ton vom 31.5.2023 - Gestaltung: Marie-Theres Himmler

KHE: Ja, das Besondere war, dass ich nur die Klänge von deinen Zeichen- und Malgeräuschen verwendet habe als Input für mein live-elektronisches Computerprogramm, das ich dafür entwickelt habe. Und daraus ist eigentlich die ganze Musik entstanden, also direkt aus den Mikrofonsignalen, die allerdings oft gar nicht mehr als solche erkennbar waren. Ich wollte das allerdings heute nicht wiederholen, weil das habe ich ja schon mal gemacht. Und ich habe mich entschieden, einen Challenge auf mich zu nehmen mit einem Instrument, das ich erst seit einem knappen Jahr in Verwendung habe, das ich erforscht habe, das ich zum Teil verändert habe. Ich bin selbst schon sehr gespannt, was heute passieren wird!

AR: Seit einem Jahr arbeitest du schon mit diesem Synthesizer. Wie ist es überhaupt dazu gekommen und woraus besteht dieses Instrument? Was passierte vor einem Jahr, als du zu diesem Instrument gegriffen hast?

KHE: Ich habe mir die Frage gestellt, wie man in der Dunkelheit eines Krieges, der vor unseren Grenzen stattfindet, überhaupt noch Kunst machen kann. Für mich schien das vollkommen sinnlos. Und so habe ich mir gedacht, ich müsste komplett neu beginnen, also von Null anfangen. Aber das war schwierig, weil ich arbeite ja schon seit vielen Jahrzehnten im Bereich der elektronischen Musik, habe dort auch viel entwickelt, erforscht und viele Stücke komponiert. Nur wollte ich das nicht wiederholen oder weiterführen, sondern noch einmal ganz neu anfangen, ohne Computer. Das war die große Herausforderung. Und dann bin ich auf analoge Synthesizer gestoßen, die es schon seit den 1960er Jahren gibt. Ein wichtiger Proponent war Robert Moog, der in New York den sogenannten Moog-Synthesizer entwickelt hat. Zur gleichen Zeit in Kalifornien entwickelte Don Buchla einen eigenen Synthesizer, der allerdings ganz anders funktioniert. Das Gerät, mit dem ich heute spiele, ist winzig klein und verbindet sozusagen die beiden Welten von East- und West Coast. Und weil er sozusagen an keiner Küste angesiedelt ist, hat er die Bezeichnung 0-Coast, also Zero Coast. Er ist nicht verortbar. Trotz seiner Kleinheit ist dieses Gerät wahnsinnig komplex und vielgestaltig. Ich wollte das aber nicht so benutzen, wie man das normalerweise macht, dass man eine Tastatur anschließt und dann irgendwelche Klänge einstellt und dann spielt, sondern die Challenge war, ohne Tastatur zu arbeiten, nur mit den Schwingungen des Systems selber mit Rückkoppelungen das Gerät zum Klingen zu bringen.


0-coast-setup_02062023

Karlheinz Essls 0-COAST modular synth
Setup: 2 Jun 2023 @ Atelier Astrid Rieder


AR: Das klingt sehr gut, aber für mich und vielleicht für manchen Radiohörer_innen ist das noch nicht ganz schlüssig. Was ist das Innere? Sind das elektromagnetische Wellen, sind das Spannungen? Was arbeitet da drinnen in diesem kleinen Synthesizer? Nimmst du die Bewegungen auf wie bei einem Theremin oder wie? Wie kann ich mir das als Laie vorstellen?

KHE: Es sind schwingende Schaltkreise, die Oszillationen erzeugen, die wiederum miteinander moduliert werden können. Das ist sozusagen die technische Beschreibung. Aber das ist unglaublich vielgestaltig, weil man damit fast jeden Klang erzeugen kann. Aber es ist halt die Frage, wie man das macht und das ist so schwierig, weil diese Sachen so miteinander vernetzt und verbunden sind, dass es oftmals nur eine winzige Veränderung eines Parameters bedarf, um das ganze System zum Absturz zu bringen. Aber das ist wiederum wahnsinnig spannend, weil so ein Absturz ein Naturereignis darstellt und das zu Hören ist natürlich extrem spannend! Ich weiß selber nicht, was heute passiert, weil die Situation, dass ich mit einer bildenden Künstlerin zusammenarbeite, ist mit diesem System noch nicht ausgetestet worden. Und ich bin wahnsinnig gespannt, wie wir diese 40 Minuten gemeinsam gestalten erleben und auch überleben.

AR: Überleben... Ja, wir haben Trial and Error, wir haben misslungene und geglückte Phasen, das ist das pure Leben, das wir in dieser Performance heute zeigen. Und du hast mir erzählt, du verwendest als Ergänzung auch einen Zufallsgenerator. Wie setzt du den ein?

KHE: Der Zufall ist eine ganz, ganz wichtige Wirkkraft in diesem System. Ich kann ihn in gewissen Grenzen beeinflussen. Er erzeugt mir sozusagen Vorschläge oder Situationen, die ich nicht im Einzelnen voraussehen kann. Er ist ein bisschen so wie der Würfel bei einem Spiel. Man würfelt und hat eine 6 und kann plötzlich noch einmal würfeln und wird dann schnell ans Ziel kommen oder man hat ein Pech und würfelt 20 mal hintereinander die 1, das kann auch passieren. Und das ist natürlich das Spannende, weil ich dann nicht in einem System arbeite, das komplett vorhersehbar ist, sondern dass ich immer mit diesen Unbestimmten und mit diesen Zufälligen arbeite, was ja eine große kreative Qualität in sich birgt. Die Frage ist natürlich nur, wie man mit dem Zufall umgeht. Man kann ja sagen, ich möchte ihn eingrenzen, ich möchte mich nicht dem aussetzen, sondern alles kontrollieren, dann ist man halt oft gefangen. Aber wenn ich den Zufall positiv sehe und ihn im Sinne einer Serendipity, also einer glücklichen Fügung akzeptiere und daraus etwas mache, können wunderbare Dinge passieren.

AR: Hat Ernst Krenek nicht auch mit Synthesizern gearbeitet?

KHE: Ja, aber erst ganz spät in seinem Leben. Er ist 1900 geboren und hat sich erst 1967 zwei von diesen Buchla-Synthesizern gekauft. Da war er schon ein alter Mann, natürlich befeuert von den Entwicklungen damals in Köln am WDR-Studio, wo Karlheinz Stockhausen und Gottfried Michael Koenig gewirkt haben. Nach einem Besuch dort hatte er viele Inspirationen bekommen und wollte das selber zu Hause experimentell erforschen. Mit diesen Synthesizern hat er sehr interessante Kompositionen gemacht. Beide Geräte sind erhalten. Sie befinden sich in seinem Nachlass im Ernst-Krenek-Institut der Donau-Universität Krems, sind frisch restauriert und spielbereit. Gerade eben hat der Klangkünstler Giorgio Sancristoforo eine mehrteilige Performance darauf gemacht und aufgenommen. Und es gibt YouTube-Videos, wo man das auch sehen kann.


Cover ORGANO/LOGICS


AR: Ich habe gehört, du hast auch ein neues Projekt am Laufen. Was ist das? Kannst du uns darüber was erzählen?

KHE: Dieses neue Projekt ist die CD ORGANO/LOGICS mit meinem gesamten Orgelwerk. Sie ist letzte Woche bei col legno erschienen. Da habe ich viele Jahre dran gearbeitet mit dem tollen Musiker Wolfgang Kogert, dem Organisten der Wiener Hofburgkapelle. Und wir haben in der Corona-Zeit, während der verschiedenen Lockdowns, sehr viel dort arbeiten können. Auf diesem wunderbaren Instrument, in diesem großartigen spätgotischen Kapellenraum, der eine wunderbare Akustik hat, die nicht so hallig ist, wie man sie von normalen Kirchen kennt. Und dort sind viele Stücke entstanden oder adaptiert worden, die wir gerade eben auf CD herausgebracht haben.

AR: Dein Stück HerrGott! für die Riesenorgel des Wiener Stephansdomys befindet ja auch darauf!

KHE: Dieses Stück war ein Auftrag von Konstantin Reymaier, dem Domorganisten von St. Stephan, der für die Einweihung der neuen Riesenorgel verschiedene Komponistinnen und Komponisten angefragt hat, ob sie eine Bearbeitung des Wienerliedes "Herrgott aus Sta von Karl Hodina machen könnten. Im ersten Moment habe ich mir gedacht: entschuldige, ich komme aus einer ganz anderen Ecke, da bin ich vielleicht nicht der Richtige! Aber wie das oft so ist, wenn man darüber schläft und nachdenkt, erschien es mir spannend, einmal eine Variation zu schreiben, die halt nicht so funktioniert, wie man das normalerweise macht, mit motivisch-thematischen Veränderungen, sondern eher als Klangstück.


AR: Wenn wir jetzt noch einmal zu dem Synthesizer, den du jetzt mitgebracht hast, zurückkommen, ist noch einmal eine wichtigste Frage, gibt es eine Möglichkeit der Interaktion in der Performance?

KHE: Natürlich! Mein Körper fungiert als Interface zur Aussenwelt und übersetze das, was ich sehe oder empfinde oder höre in Bewegungen meiner Finger. Und das wiederum verändert den Klang. Insofern ist das ein sehr reaktives, interaktives Instrument.

AR: Und wenn du aber so irritiert wirst, dass du nicht mehr deine Finger kontrollieren kannst, was passiert dann?

KHE: Schau'n wir mal... Es kann was Schreckliches passieren oder was Wunderschönes!


transArt-rieder2023

Resultat der gemeinsamen transArt Performance
2 Jun 2023 @ Atelier Astrid Rieder


AR: Sehr geehrte Damen und Herren, es freut mich, dass Sie sich heute Zeit nehmen für ein Experiment in meinem Atelier. Wie vielleicht einige von Ihnen wissen, ist diese Performance außerhalb der monatlichen Performance-Serie, die ich 2016 im Künstlerhaus Atelier gegründet habe und seitdem monatlich immer am zweiten Donnerstag veranstalte mit einer Musikerin, immer mit einer anderen Musikerin mit ihrem bestimmten Instrument. Wir arbeiten im Moment ohne Proben und wir machen uns vorher gar nichts aus. Und heute, Freitag, haben wir eben jetzt einmal schön Zeit für ein ganz besonderes Experiment und dafür habe ich den Komponisten und Elektroniker, er ist auch Professor für Elektronik an der Musikuniversität in Wien, Karlheinz Essl eingeladen. Er hat einen besonderen analogen Synthesizer mitgebracht und ich bitte ihn, dass er uns diesen erklärt.

KHE: Guten Abend und danke für die nette Einführung. Wir sind heute in einem ganz kleinen, intimen Rahmen, da kann man sich schon einiges trauen. Ich mache seit 40 Jahren elektronische Musik mit Computern und wollte einmal versuchen, was passiert, wenn ich den Computer zu Hause lasse und nur mit analogen Mitteln arbeite. Was Sie heute hören werden, das ist ein eigenes kleines System, das ich für mich selber adaptiert habe, so dass ich quasi wie im Blindflug durch einen Traum die unglaublichsten Klangwelten erzeugen kann. Aber ich weiß nicht, was das genau wird, weil der Zufall in dieser Kiste eine große Rolle spielt und ich sozusagen auf der Welle des Zufalls reite. Ich lasse mich dabei von Astrid Rieder und ihrer Zeichen-Performance inspirieren und versuche, darauf zu reagieren. So werden wir gemeinsam ein Bild gestalten, wo sich das Bild aus der Musik und die Musik aus dem Bild entwickelt.


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Updated: 3 Nov 2023

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