Karlheinz Essl
Gottfried Michael Koenig at Essl Museum, Klosterneuburg
Photo © 2014 by Karlheinz Essl
Studio kHz, 1.7.2014
Masterclass Gottfried Michael Koenig on Algorithmic Composition
Institut of Electronic Musik, KUG Graz (17 Dec 2011)
Video: Karlheinz Essl
Lieber Mick,
als ich dich 1986 kennenlernte ahnte ich nicht, wie wichtig du für mich einmal werden solltest – und welche künstlerischen Impulse ich durch dich bekommen würde! Lebhaft erinnere ich mich an die Begegnung mit deinem Streichquartett 1959, dessen Partitur ich in der Bibliothek des Instituut voor Sonologie in der Utrechter Plompetorengracht gefunden hatte. Die Aufnahme dieses Stücks mit dem Lasalle Quartett hat mich nachhaltig beeindruckt und in mir den Wunsch geweckt, mich näher mit deiner Komposition zu beschäftigen. Die ersten analytischen Versuche schlugen jedoch fehl. Mein an Webern und Berg geschultes Instrumentarium wollte nicht so recht greifen. In meiner Ratlosigkeit schrieb ich dir einen Brief, in dem ich dich um "prinzipielle Hilfestellungen" bat. Deine Antwort kam postwendend und eröffnete mir faszinierende Einblicke in dein kompositorisches Denken, das mich fortan begleiten sollte. Durch dich wurde ich auf den Zufall aufmerksam und in die Prinzipien des algorithmischen Denkens eingeweiht. Meine Analyse deines Quartetts, die später in dem dir gewidmeten Musik-Konzepte Band 66 (1989) erschienen ist, wäre ohne deine Inputs niemals zustande gekommen. Näher kennengelernt haben wir uns im Mühlviertel, wo du mit deiner lieben Ruth Sommerurlaub machtest und ich dich mit Eva und meinem Freund Gerhard Eckel einmal besuchte. Erinnerst du dich noch an den Kaiserschmarren, den ich dort für euch gebacken habe? Ich hatte sowas vorher noch nie gemacht... Die Kompositionssoftware PR3, eine Fortführung von PR1 und PR2, wolltest du in Zusammenarbeit mit anderen entwickeln. Im April 1988 hattest du uns dafür nach Arnhem zu einem ersten Treffen geladen: Dirk Reith und Thomas Neuhaus (Essen), Gerhard Eckel (Paris), Ramón González-Arroyo (Madrid), Serge Verstockt (Antwerpen), Wim Vree (Hilversum) und mich. Es kam zu weiteren Treffen, unter anderem auch in unserer Wohnung in Wien. Unzählige Ideen wurden da gesponnen, so manches Neuland anvisiert, vieles aber auch verworfen – nachzulesen in den internen PR3 NEWSLETTERS, wo teilweise heftig und schonungslos diskutiert und gestritten wurde. Auch wenn diese Projekt nie realisiert wurde, hat doch jeder von uns in irgendeiner Weise sein eigenes PR3 zusammengehackt, das – bei aller Unterschiedlichkeit – von deinem Geist inspiriert ist. Es erfüllt mich mit großer Dankbarkeit und Freude, dass wir seit nunmehr 35 Jahren miteinander verbunden sind. Ich danke dir für all das, was ich durch dich erfahren durfte und das Neuland, in das du mich geführt hast. Obwohl ich offiziell nie dein Schüler war, habe ich von dir ganz Wesentliches gelernt!
In Liebe und Dankbarkeit, Klosterneuburg, am 7. September 2021 |
Franz Josef Kerstinger: Der Komponist Karlheinz Essl über seine Begegnung mit Gottfried Michael Koenig und dessen Einfluss auf sein Schaffen.
Karlheinz Essl: Für mich sehr wichtig war Koenigs Streichquartett 1959, das ich damals analysiert habe und wo er mir auch geholfen hat, indem wir einen sehr langen Briefwechsel über dieses Stück geführt haben, der mir viele neue Erkenntnisse geliefert hat. Dies hat mich schließlich zu dem Feld der Computer-Aided Composition geführt, auf dem ich sehr viel gearbeitet habe, ausgehend von Vorstellungen, die Koenig in den 1950er und 1960er Jahren entwickelt hat: Musik als eine Art Modell zu denken und auch zu konstruieren - und aus diesem Modell heraus verschiedenste Varianten des selben kompositorischen Konzepts zu verwirklichen.
Franz Josef Kerstinger: Das Schlußwort hat Karlheinz Essl.
Karlheinz Essl: Was Koenig mit und vielen anderen Komponisten und KomponistInnen auf dieser Welt bedeutet ist nicht nur seine Musik (es gibt nicht so wahnsinnig viele Stücke, die er geschrieben hat), sondern eine ganz spezifische Zugangsweise zum musikalischen Denken, die sehr in die Tiefe geht und sehr viel mit dem Versuch zu tun hat, eine kompositorische Vorstellung als rationales Moment zu begreifen - was ein gewisser Widerspruch ist. Aber genau dieser Widerspruch ist es, der uns - die wir Koenig lieben und schätzen - letztlich zu immer neuen künstlerischen Höhenflügen gebracht hat.
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Updated: 17 Jan 2022