Das Internet mit seiner multimedialen, zeit- und raumübergreifenden Konzeption hat mich seit Anfang der 1990er Jahre fasziniert. Die Möglichkeit globaler Kommunikation und der damit verbundenen künstlerischen Gedankenaustausch gaben mir entscheidende Impulse. Diese zeitigten starke Auswirkungen auf mein künstlerische Arbeit und veränderten sie radikal:
Vom Bewohner eines Elfenbeinturmes bin ich peu-à-peu zum global citizen geworden, dessen Tätigkeit sich nicht mehr allein im Verfertigen komplexer Partituren erschöpft. Durch den Kontakt mit Gleichgesinnten, der zunächst hauptsächlich über Mailing-Lists ausgetragen wurde, reiften in mir neue Ideen, die den für mich bislang gültigen Werkcharakter von Musik immer fragwürdiger werden ließen:
Die Transparenz-Machung des Schaffensprozesses, der von Anfang an via Web mitverfolgt werden kann, dient als Basis für künstlerische Diskurse, wie ich es auf meiner eigenen Website www.essl.at zu realisieren versuche.
Die Vorstellung von Musik als unendlichen Prozess, der keine zeitliche und räumliche Begrenzung und Richtung mehr kennt, kulminierte schließlich in der Idee der sog. Realtime Composition, die in der unendlichen Lexikon-Sonate für computer-gesteuertes Klavier ihre ersten Niederschlag gefunden hat. Dieses software-basierte Stück hat sich weltweit auf tausenden Computern verbreitet; daneben existiert es aber auch als spezielle Online-Version für das Web.
Der damit verbundene Wechsel von papiergebundenen und eindeutig fixierten Notationsformen zu fluiden Partitur-Konzepten, die über das Internet abrufbar sind, gipfelte schließlich im Ensemblestück Champ d'Action.
Ein neuerwachtes Interesse an offenen Formen führte zur verstärkten Beschäftigung mit Improvisation und der Frage, wie diese nicht-intentional zu beeinflußen wäre, ohne die Kreativität des Musikers einzuschränken, sondern - im Gegenteil - sie aus ihren eingefahren Gleisen zu befreien. In den ebenfalls über Webinterface abrufbaren Playing Strategies habe ich versucht, eine Antwort darauf zu finden.
Die Entwicklung von Software-Werkzeugen für musikalische Komposition, die ich seit 1993 als OpenSource im Netz zur Verfügung stelle - wie meine Realtime Composition Library for MAX - wird in Kooperation mit Anderen weiterentwickelt und verfeinert. Als work-in-progress spiegelt diese Bibliothek von Kompositionsmodulen auch den jeweiligen Stand meines kompositorischen Denkens wider.
Der email-basierte Kontakt zu Improvisationsmusikern in den Vereinigten Staaten führte schließlich zu der Entwicklung des Improvisations-Environments Amazing Maze, das maßgeblich durch die beteiligten Musikerpersönlichkeiten mit ihren individuellen Anforderungen geprägt wurde.
Daraus entwickelte sich dann ab 1996 das Software-Instrument m@ze°2, das ich für meine eigenen Musikperformances verwende; weiters die über Internet vertriebene Audio-Tools REplay PLAYer und fLOW.
Der nicht-hierarchische Charakter des Internets mit seiner rhizomatischen Struktur zeigt vielfache Entsprechungen zu meiner persönlichen Sichtweise, Musik als kommunikatives Netzwerk aufzufassen und dieses auch sinnlich erfahrbar zu machen. Dies ist auch der Inhalt meiner Musikperformance im Rahmen des Symposions net.music, die am Freitag 30.11.2000 in der Jugendmusikschule Hamburg stattfinden wird.