Portrait

Karlheinz Essl

Opus 1

Anmerkungen zu meinen drei ersten Kompositionen
2007


Christoph Wichert und Cordula Bösze bereiteten im Rahmen ihrer Komponierwerkstatt an der Musikschule Tulln eine Zeitschrift zum Thema KOMPONIEREN vor. Dafür sammelten sie Aussagen von Komponistinnen und Komponisten zu ihrem op. 1 und stellten folgende Fragen:

1) In welchem Alter haben Sie das erste Stück (oder erste Versuche) verfasst?
2) Für welche Besetzung war dieses Stück (dieser Versuch) gedacht?
3) Gab es einen konkreten Anlaß dazu (wie zB. langweilige Literatur im Instrumentalunterricht, Kompositionen für Geschwister oder Freunde, Geburtstage, etc..)?


In meinen kompositorischen Anfängen habe ich mindestens drei Werke mit dem Prädikat Opus 1 versehen, jedes Mal aus dem unbändigen Stolz heraus, etwas für mich Bahnbrechendes und Zukunftsweisendes geschaffen zu haben.

Opus 1 vs. 1 aus dem Jahre 1977 war ein Stück für Gitarre solo mit dem merkwürdigen Titel Nebenniere; die Frucht meiner Beschäftigung mit dem seriellen Denken Karlheinz Stockhausens. Als Siebzehnjähriger ging ich damals noch zur Schule, spielte E-Gitarre in einer Rockband und stieß in der öffentlichen Bücherei auf Stockhausens Texte zur Musik, die mich gleichermaßen verstörten wie faszinierten. Die Lektüre dieser Bände ließ mich nicht mehr los, und so versuchte ich mich ganz naiv an der Umsetzung des von Stockhausen proklamierten Gruppenkonzepts, das neben der Komposition selbst (eine sauber in Tusche und Rotstift niedergeschriebene Partiturseite) auch eine ausführliche Strukturanalyse beinhaltete. Selbstverständlich war ich der einzige Interpret dieses Stückes und wundere mich heute, wie ich dies als kompositorischer und gitarristischer Autodidakt damals zuwege bringen konnte.

Opus 1 vs. 2 hingegen atmet völlig andere Luft. Mit dem Beginn meines Musikwissenschaftsstudiums hatte ich meine musikalische Unschuld verloren und war tief in die Welt des Mittelalters hinabgetaucht, die mich unendlich faszinierte. Wie ein Archäologe entdeckte ich dort fremdartige Musiken, die nicht allein als Klang in Erscheinung traten, sondern voll geheimer Botschaften waren, verklausuliert in Ziffern und Zeichen. Und wiederum war es die Lust, dieses empirisch angeeignete Wissen selbst auszuprobieren. Daraus entstand 1980-81 die Missa Aeolica für vierstimmigen gemischten Chor, das einen sog. "inneren Cantus firmus" als Ariadnefaden aufweist, der sich durch alle fünf Messteile in mannigfachen Erscheinungsformen schlängelt. Die gesamte Kompositions ist voller kontrapunktischer Verrücktheiten, deren Höhepunkt das "Kyrie II" darstellt - ein strenger dreistimmiger Kanon in drei verschiedenen Tonarten gleichzeitig. Uraufgeführt wurde dieses Chorwerk vom "Kammerchor Kontrapunkte Klosterneuburg" (wo ich begeistert mitsang) unter der Leitung von Erke Duit.

Mein eigentliches Opus 1 stellt das Streichquartett Helix 1.0 dar, das 1986 während meines Kompositionsstudiums bei Friedrich Cerha entstand. Hier hatte ich endlich zu mir selbst gefunden und den Grundstein zu meiner persönlichen Musiksprache gelegt, wo die Auseinandersetzung mit dem spätmittelalterlichen Manierismus und die Erfahrung mit seriellen Strukturkonzepten vermittels systemtheoretischen Ansätze zur Synthese gebracht wurden.

18 März 2007


in: Unsere Musikschule: Komponieren. (= Zeitschrift der Musikschule Tulln) 24. Mai 2007



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Updated: 12 Aug 2018

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