Portrait KHE

Demokratische Klänge?

12th GlobArt Academy
Pernegg, 20 Aug 2009


Programm

7x7 (2006)
Klangspiel für 4 Altsaxophone

Sequitur VII (2008)
für Altsaxophon und Live-Elektronik

Close the Gap! (1990)
für 3 Tenorsaxophone

Demo Crazy (2009) - Uraufführung
Live-Performance für Computer und Live-Elektronik


Ausführende

Wiener Saxophonquartett
Lars Mlekusch: Altsaxophon
Karlheinz Essl: Computer & Live-Elektronik



Musik als Abbild demokratischer Muster
Karlheinz Essl im Gespräch mit Walter Dobner


„Demokratie ist die Herrschaft, die vom Volk ausgeht. Das Volk besteht aus einer Summe von Einzelstimmen. Diese Einzelstimmen sind immer Individuen, die sich mit ihren Vorstellungen präsentieren. Im schlechtesten Fall trifft man sich bloß in der Mitte, formuliert Karlheinz Essl und macht damit deutlich, wie sehr sich der Demokratiegedanke auch in diesem Programm niederschlägt. Gleich in seinem 2005 ursprünglich für vier Klarinetten geschriebenen, später für vier Altsaxophone adaptierten Werk 7x7. „Musiker sind um das Publikum verteilt. Es ist ein Stück, das auch in halligen Kirchenräumen unglaublich gut funktioniert, weil die Musiker dieses Spiel gemeinsam machen und diesen Raum in einer Weise zum Klingen bringen, dass man den Eindruck hat, es sind vier verschiedene, räumlich dissoziierte Klangwelten, die aber Teil eines Organismus sind“, umreißt der 1960 geborene Komponist und Professor an der Wiener Musikuniversität das Konzept dieses Stücks. Seinen Namen verdankt es der Tatsache, dass es auf einem Art Schachbrett mit 7 x 7 Feldern notiert ist. In jedem der Felder ist ein musikalisches Motiv eingetragen. Die an den vier Ecken des Raumes um das Publikum herum stehenden Musiker beginnen jeweils in einem anderen Eck und spielen im Sinne einer Spirale diese 7 x 7-Felder ab, bis sie in die Mitte kommen. Hier wird mit dem zuvor vorgestellten Material improvisiert. Auf Zeichen gehen die Musiker in die entgegengesetzte Richtung zum Endpunkt zurück. Essl: „Das Spielsystem funktioniert so, dass jeder der Musiker eines der Motive spielt und danach eine Pause macht. Auf Grund des Kontextes entscheidet er, wann er mit dem nächsten Motiv einsteigt. Damit ist von jedem Spieler eine große soziale Kompetenz gefordert, denn er spielt nicht nur seinen Part, sondern muss hinhören, was die anderen spielen und entscheiden, wann es passt mit seinem nächsten Motiv einzusteigen.“


7x7 fo(u)r saxophones, performed by 4saxess
Konzerthaus Vienna (6 Oct 2007)


„Da gibt es eine Person und alle reden dieser nach. Weil sie zu anderen Zeiten immer dasselbe sagen, konterkariert sich das. Es entsteht eine neue Qualität. Was die Person bewirkt hat, kann sie nicht mehr kontrollieren, man nimmt es nicht mehr wahr“, weist Essl auf ein anderes Bild der Demokratie hin, das sich in Sequitur VII widerspiegelt - einem Stück aus seiner Reihe von Solostücken für die unterschiedlichsten Instrumente, die alle mit Live-Elektronik verbunden sind. Als Vorbild darf man hier durchaus an die Sequenze von Luciano Berio denken, denn davon ist dieses Projekt, das Essl seit einiger Zeit beschäftigt, inspiriert. Ursprünglich hatte er diese Reihe für zwei Spieler gedacht: einen Musiker und einen, der die Elektronik bedient. Spätestens, als er sich mit einem eigenen Stück für Elektrogitarre und Elektronik beschäftigte, kam es zum Umdenken. Weil die Elektronik aus dem Input des Soloinstruments das Environment liefert, hat er sich entschieden, die Elektronik so zu programmieren, dass der Solist nur mehr von Zeit zu Zeit ein Zeichen setzen muss – womit zur Ausführung dieser Stück ein Spieler genügt. Das Grundkonzept dieser Werkreihe ist übrigens gleich: ein achtstimmiger Kanon, allerdings nicht mit gleichen, sondern mit variierenden Einsatzabständen. Im Falle dieses Sequitur VII für Altsaxophon und Live-Elektronik baut sich eine Melodie aus Liegetönen mit leichten Abschweifungen und kleinen Melismen gleich dem zuvor geschilderten Demokratiebild zu einer ziemlich schnellen virtuosen Kantilene auf, die sich über den Kanon unendlich potenziert. Essl: „Es zeigt eine bestimmten Aspekt des Politischen und wieder Demokratischen, weil nichts bestimmt, aber etwas vorgegeben wird, was aufgegriffen wird. Aber es entsteht etwas völlig anderes, was man nicht mehr unter Kontrolle hat: eine Art Umkippen der Verhältnisse.“


Lars Mlekusch und Karlheinz Essl spielen Sequitur VII
Pfarkirche Pernegg, 20 Aug 2009

Video by Markus Wittmann / Sylvia Kummer


„Cross the Border – Close the Gap!“ (Überschreitet die Grenze, schließt den Graben) war der Titel eines Essays des amerikanischen Philosophen Leslie Fiedler, das Essl Anfang der 1990iger Jahren besonders faszinierte. Der Unifikationstheorie der Moderne, dass alles aus Einem abgeleitet wird, setzt er Vielsprachigkeit und die verschiedenen Aspekte des Lebens und künstlerischen Tuns entgegen, fordert auf, über den Tellerrand hinauszuschauen und Gräben zu überbrücken. Vor diesem Hintergrund ist Essls 1990 komponiertes Saxophonstück Close the Gap! zu sehen: Minimale Klangrudimente, wie Flatterzungen, kurze Pizzikati werden nicht zu einem kammermusikalischen Diskurs geführt, sondern wie ein Organismus geführt, der sich in drei Teile aufspaltet. Erst einmal präsentieren die drei Saxophonisten ihre Gesten in höchster Virtuosität, bald werden die Blöcke dichter und kurzer, bis sich zum Schluss hin daraus ein „feines triologisches Gespinst“ (Essl) entwickelt. Auch damit wird ein demokratischer Prozess gleichsam musikalisiert: die „Dialektik zwischen Individuen, die am Beginn nur Teil eines Systems sind. Am Schluss prägen sich die Stimmen zu Persönlichkeiten aus, die miteinander kommunizieren.“ (Essl)


Schlusspartie von Close the Gap!, gespielt vom Wiener Saxophon-Quartett
Pfarrkirche Pernegg, 20 Aug 2009

Video by Karlheinz Essl


Wie alles muss auch Demokratie Kritik aushalten. Das ist der Ansatzpunkt von Essls jüngstem Werk: Demo Crazy für Computer und Live-Elektronik. Entsprechend geht es hier nicht um gepflegte Konversation, sondern um „Schreie, Gewalt, Leid, Schmerzen, Terror. Auswirkungen, die Demokratie haben können, werden thematisiert“, nicht aber angeklagt. Ausgangspunkt ist ein Ausschnitt aus einem Interview von Theodor Wiesengrund Adorno, in dem er über Anarchie spricht. Erst in feinste Einzelteile zerpflückt, lösen sich aus Rauschen die Worte heraus. „Es ist ein Garten, der gepflanzt ist, der ein Eigenleben hat. Die Aufführung ist ein Spaziergang durch den Garten, das kann auch ein Lauf sein, ein Verweilen, ein Sitzenbleiben“, umreißt Essl den grundsätzlichen Charakter einer Live-Performance. Zusätzlich spielen Spirituelle und Akustisches eine Rolle, die Magie des Augenblicks. Demensprechend muss bis zur jeweiligen Realisierung der Ausgang dieses aus der menschlichen Stimme entwickelten Stückes offen bleiben.


Karlheinz Essl spielt Demo Crazy
Pfarrkirche Pernegg, 20 Aug 2009

Video by Markus Wittmann / Sylvia Kummer



Biographie

Karlheinz Essl. Geboren 1960 in Wien. Studium der Musikwissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Wien sowie Komposition bei Friedrich Cerha und elektro-akustische Musik bei Dieter Kaufmann. Komponist, Medienkünstler, Elektronik-Performer, Musikkurator und Kompositionslehrer. 1990-94 composer-in-residence bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. 1992/93 Performance-Projekt mit Harald Naegeli (dem Sprayer von Zürich). Kompositionsauftrag des IRCAM, Paris. Unterrichtete zwischen 1995-2006 Algorithmic Composition an der Anton Bruckner Privat-Universität in Linz. Seit 2007 Kompositionsprofessor für elektro-akustische und experimentelle Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Seit 1993 Musikintendant der Sammlung Essl in Klosterneuburg/Wien. 1997 Komponistenportrait bei den Salzburger Festspielen, 2004 Würdigungspreis des Landes Niederösterreich. Entwickelt neben Instrumentalwerken und Kompositionen mit Live-Elektronik auch generative Kompositions-Software, Improvisationskonzepte, Klanginstallationen, Performances sowie Internet-Projekte. Ständige Auftritte als Live-Performer mit seinem selbstentwickelten computer-basierten Meta-Instrument m@ze°2.



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Updated: 16 Dec 2016 lt="">

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