Karlheinz Essl und Wolfgang Kogert: ORGANO/LOGICS (Rainer Nonnenmann)
in: Neue Zeitschrift für Musik, 1/2024, S. 76
Selten sind bei neuer Musik Klangmaterial, Strukturierung und Formung so klar durchhörbar wie bei den Orgelwerken von Karlheinz Essl. Der 1960 in Wien geborene ehemalige Cerha-Schüler arbeitet auch als Software-Designer und Professor für Elektronische Komposition an der Musikuniversität Wien. Seine zehn Orgelstücke schrieb er seit 2016 teils als Originalkompositionen oder Bearbeitungen älterer Instrumentalwerke für den Organisten der Wiener Hofburgkappelle, Wolfgang Kogert. Dieser hat sie jetzt auf der dortigen Kuhn-Orgel erst- und gesamteingespielt. Die Titel der zwischen drei und zehn Minuten dauernden Stücke benennen kurz und bündig die jeweilige Idee und «Spielregel», so Christian Scheib im ebenso umfangreichen wie informativen Beiheft.
Prendere il Fa basiert auf dem Zentralton f, zu dem sich alle anderen Einzeltöne und Akkorde mit verschiedener Nähe, Distanz und Spannung verhalten: von konsonanten Oktavlagen, Rhythmisierungen und Dynamisierungen bis zu komplexen Ausfaltungen und Dissonanzen.
Puzzle of Purcell montiert Fragmente, Akkorde, Sequenzen und Lamentobässe aus Opern des englischen Barockmeisters zu überraschenden Wendungen. Ebenso oft werden die tonalen Zielpunkte und Fortschreibungen aber auch eingelöst, sodass das Spiel der geweckten und getrogenen Erwartungen lebendig bleibt.
Essl setzt klare Regeln für Materialien und Strukturen, deren Erfüllung und Abweichung das Hören zu einem spannenden Prozess organisch entfalteter Logik macht, eben «Organo/Logics».
Bei unbestimmt werden wechselnde Register nur sehr langsam gezogen, so dass zunächst bloß Luftgeräusche, Flageoletts und gleitende Fisteltönchen entstehen, die sich dann vorrübergehend zu bestimmten Tönen und Akkorden verdichten, bevor die Register ebenso langsam wieder geschlossen werden. In Partikel-Bewegungen zeigen Essl und Kogert die Orgel als Blasinstrument im Dialog mit erweiterten Artikulationsweisen der Vokalistin Anna Clare Hauf. Neben getönten Blas- und Atemgeräuschen verbinden sich Instrument und Stimme auch durch perkussives Schnalzen, Klappern und Stoßen sowie flirrendes Flattern, Trillern, Vibrieren, Tremolieren.
Essls Schaffen hat einen starken Bezug zur dodekaphonen Kontrapunktik Anton von Weberns, über den der studierte Musikwissenschaftler 1991 seine Dissertation veröffentlichte. Wie jener nutzt Essl in tenet opera rotas dasselbe Palindrom «sator arepo» für vor- und rückläufige Ton-und Akkordfolgen. Weberns letzte Zwölftonreihe permutiert Essl in WebernSpielWerk zu vier rhythmisch und klanglich charaktervollen Sätzen.
In Listen Thing wird schließlich das Weihnachtslied "Stille Nacht" palindromitisch als Krebs, Umkehrung und Krebsumkehrung zu einer völlig anders strahlenden Musik verwandelt, in der die bekannte Vorlage zunächst nur ahnungsvoll durchschimmert, bevor sie am Ende in ihrer Grundgestalt erscheint.
Karlheinz Essl – ORGANO/LOGICS (Gianluigi Mattietti)
in: MusicPaper, 16.1.2024
Allievo di Friedrich Cerha, attivo nel campo della musica elettronica, della composizione algoritmica, della musica generativa (ha sviluppato diversi ambienti software per la composizione in tempo reale), Karlheinz Essl ha avuto sin da giovane una vera infatuazione per l’organo: da piccolo, andava a ascoltare i concerti Peter Planyavsky nella cattedrale di Santo Stefano a Vienna; da studente alla Musikhochschule, nel 1986, ha composto Orgue de Cologne, un pezzo elettronico basato su un accordo d’organo (con accordatura mesotonica) giocosamente sottoposto a varie tecniche seriali, aleatorie e puntillistiche.
Il compositore viennese è tornato all’organo trent’anni dopo, quando ha iniziato una feconda collaborazione con l’organista Wolfgang Kogert, con il quale ha cominciato a esplorare le proprietà meccaniche, costruttive e timbriche dello strumento, e i diversi modi di suonarlo. Così sono nati diversi nuovi pezzi per organo, assai diveri tra loro, raccolti in questo bel cd e interpretati dallo stesso Kogert sull’organo Kuhn della Cappella di corte di Vienna.
Ci sono alcuni arrangiamenti o parafrasi di pezzi originariamente destinati ad altri strumenti, come Prendere il Fa (2021) per pianoforte, Puzzle of Purcell (2022) per chitarra elettrica, vingt secondes (2020) per melodica, miniatura immaginata come intrattenimento per colmare il tempo necessario a lavare le mani durante la pandemia.
In Partikel-Bewegungen (1991/2016), ai suoni rarefatti e frammentati dell’organo si uniscono gli interventi di una voce femminile>(il mezzosoprano Anna Clare Hauf), balbettii, sbuffi, vari effetti vocali, che sembrano suggerire un dialogo fitto, un costante, ironico gioco di imitazioni tra voce e strumento.
In unbestimmt, scritto per Wien Modern 2020, Essl sfrutta la meccanica dell’organo e il graduale innesto dei registri, per creare stratificazioni armoniche che sembrano nuvole di suono dal carattere contemplativo. I lavori più avvincenti e immaginifici sono però quelli nei quali il compositore viennese manipola temi noti con un sofisticato gioco di tecniche contrappuntistiche.
In HerrGott! (2019) parte invece da una canzone viennese, trasformata in un gioco di linee melodiche intrecciate e stratificate a velocità diverse fino a condensarsi in cluster dall’effetto elettronico; nel delizioso Listen Thing (2008) usa diverse forme speculari del canto natalizio Silent Night (il titolo è un anagramma).
Nel puntillistico WebernSpielWerk (2005/2012) rielabora una serie dodecafonica di Webern; in tenet opera rotas (2020) crea un pezzo completamente palindormo, come un ricercare cromatico sviluppato su sei diversi strati temporali e con una grande varietà di situazioni timbriche.
Essl/Kogert – ORGANO/LOGICS (Martin Hufner)
in: HörBar nmz, 21.7.2023
Das Album enthält die gesamten Orgelwerke von Karlheinz Essl, die zwischen 1986 und 2021 entstanden sind und von Wolfgang Kogert an der Kuhn-Orgel der Hofburgkapelle in Wien eingespielt wurden. Punkt! So weit die puren geschichtliche-geographischen Fakten.
Karlheinz Essl kennt sich aus mit computerunterstützter Komposition, er kennt sich aus mit der Musik Anton Weberns. Beides aus dem Innersten und damit operiert in seinem kompositorischen Schaffen nicht nur schattenhaft, sondern offensichtlich. Nicht nur beim titelgebenden Stück tenet opera rotas. Palindrome for organ (2020), das auf das verkapselte Palindrom aus Anton Weberns ästhetischer Denkwelt Bezug nimmt. Oder WebernSpielWerk. Music for Anton Webern (2005/2012).
Einige der 10 (plus 1) Stücke sind in der Pandemie-Zeit entstanden, spielen zuweilen direkt darauf an wie bei vingt secondes von 2020 auf die 20 Sekunden des nötigen Händewaschens – dauert aber 36 Sekunden (im Original für Akkordeon sind es tatsächlich ziemlich genau 20).
Was bedeutet das für die Hörenden, die dem Organisten Wolfgang Kogert an der Orgel der Wiener Hofburgkapelle ihre Ohren und ihr analytisches Hörvermögen schenken? Erstaunlich viel und mehr als ein mathematisches Mysterium mit Schwellwerken und Werken an der Schwelle zur puren musikalischen Logik esslscher Art.
«Kogert … regte an, ursprünglich für andere Instrumentierungen geschaffene Werke an die Orgel heranzuführen, zu transkribieren oder zu verändern. Diese Vorgehensweise macht ‹ORGANO/LOGICS› auch zu einer kurzen Reise durch Karlheinz Essls Schaffen, in der die Orgel als Erzählstimme wirkt», schreibt Erwin Uhrmann in seinem Einführungstext. Und er beschließt seine Ausführungen mit den Wortem «Man könnte die kompositorische Arbeit von Karlheinz Essl in der Interpretation von Wolfgang Kogert als Dekonstruktion der Orgel begreifen, doch nicht, um diese in ihrer Verfasstheit aufzulösen, sondern um ihr weitere Dimensionen hinzuzufügen. Essl und Kogert haben die Orgel befragt und sie erzählen lassen.»
Da bin ich mir nicht sicher – wenn man nicht mehr weiter weiß, ist «es» dekonstruiert. Aber denkbar. Als nur Hörender komme ich vom anderen Ufer und muss mir zusammenreimen, was ich höre. Das ist beispielsweise das Gefühl rhapsodischer Variationstechnik in der musikalischen Gestaltung bei «tenet opera rotas». Oder im nachfolgenden Stück après l’avant rhapsodische Synchronizität, bei der mindestens zwei unabhängig ineinanderlagernde musikalische (?) Ideen die akustische Behausung darstellen (siehe auch hier die interessante Gegenüberstellung von Originalidee und CD-Realisation).
Für mein Gefühl gelingt es Essl, eine kompositorisch-poetische Balance für die Hörenden einzurichten, bei der objektivierbare Gestaltungsprinzipien auf erreichbares hörbares Nachvollzugsvermögen oder Hörbegleitfähigkeiten hin konzipiert sind – kurz: Ich hatte Hörvergnügen. Man kann sich immer wieder hörend einklinken in die Musik; sie unterfordert nicht, sie überfordert nicht. Darin schließlich ist Essls Musik derjenigen von Webern nahe.
Letzter Punkt: Die CD firmiert als Essl/Kogert. Das dürfte nicht übersehen werden. Es handelt sich bei allem Notenwerk um ein bedeutendes Werk der Interpretation. Darum: «Höre in himmlischer Ruh‘».
Beispiellos herausragend ist die Dokumentation der Aufnahme(n) und Kompositionen durch den Komponisten selbst auf seiner Homepage. Dringende Linkempfehlung.
Neues für die "Königin der Instrumente" auf CD (Eva Teimel)
in: Ö1 Zeit-Ton, 6.11.2023
Wie unterschiedlich der kompositorische Zugang zur Orgel sein kann, und wie harmonisch dennoch das Ergebnis, beweist der Organist Wolfgang Kogert auf zwei seiner neuen CD-Einspielungen. Im Zentrum stehen Orgelwerke von Christoph Herndler und Karlheinz Essl - der eine selbst Organist, der andere kompositorischer "Wiederholungs-Täter", wenn man so möchte.
Wolfgang Kogert ist einer jener österreichischen Organisten, die sich mit größter Neugier und Hingabe der zeitgenössischen Musik widmen, immer wieder arbeitet er intensiv mit Komponistinnen und Komponisten zusammen. Christoph Herndlers Werk "A Rose is A Rose is." entstand eigens für Kogert, und ist auch titelgebend für die CD, die ebenfalls für, oder eher: wegen Wolfgang Kogert entstanden ist.
Während Christoph Herndler selbst als Organist tätig ist, ließ sich Karlheinz Essl durch Wolfgang Kogert für die "Königin der Instrumente" wieder begeistern. Nach seinem in den 1980er-Jahren in einer Art studentischem Experiment entstandenem Orgelstück Orgue de Cologne dauerte es ein paar Jahre, bis er sich dem Instrument wieder zuwandte. 2016 entstand dann unter anderem das Stück HerrGott! für die neue Riesenorgel im Wiener Stephansdom. Mittlerweile sind es zehn Kompositionen, die Karlheinz Essl für die Orgel geschrieben hat - sie alle sind auf der CD ORGANO/LOGICS vereint.
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Updated: 4 Mar 2024