Karlheinz Essl

Partikel-Bewegungen

graphically notated music mobile for wind instruments, voices or church organ
1991 ff.



Galerie Theuretzbacher: Klangrausch in Dosen (Wolfgang Fuhrmann)
in: Der Standard (Wien 9./10.5.1992)

Eine schaffensästhetische Wahlverwandtschaft verbindet Harald Naegeli, den Sprayer von Zürich, und Karlheinz Essl, den Komponisten von Wien: So wie Naegeli in seinem graphischen Werk die Fläche mit winzigen Strichen beschriftet, so geht auch Essl von kleinsten Klang-Ereignissen aus, den Rudiments, die er "autopoiëtisch wuchern" läßt.

Die synästhetische Komposition Partikel-Bewegungen - seit gestern in der "Galerie Theuretzbacher" - durchdringt den Klangraum einer bewußt "unscharfen" Spielanweisung für Flöte (Sylvie Lacroix), Saxophon (Marcus Weiss) und Baßklarinette (Donna Wagner) mit der Spray-Färbung einer Glas-Fläche. Die Utopie ist die einer "instant composition", in der auch die optischen Komponenten im Respons entstehen.

Während Essl eine Entwicklung von Klängen, die den akustischen Neben-Produkten von Spraydosen ähneln, zu Tönen einleitet, wird Naegeli nicht die musikalischen Stimuli in optische Reize übersetzen, sondern in komplementärem Kontrapunkt nicht-homomorphe Farb-Zeichen dazusetzen.

Die Komposition wird in folgenden Etappen verfaßt werden: Samstag (19.30) und Sonntag (11.00). Das Projekt beweget sich anschließend weiter: nach Darmstadt, Düsseldorf und Zürich.



MUSIK - MODELLE (Christian Utz)
in: Österreichische Musikzeitschrift 7-8/92 (Wien 1992)

Wie aus Punkten Linien, aus Linien Zeichen, aus Zeichen schließlich Gestalten werden können, vermittelt der Spraykünstler Harald Naegeli und der Komponist Karlheinz Essl sehr eindringlich an zwei Abenden im langezogenen, eindrucksvollen Ausstellungsraum der "Galerie Theuretzbacher". Die Performance Partikel-Bewegungen, die gewiß als eine der gelungensten interdiszipliären Veranstaltungen in letzter Zeit angesehe werden darf, verband äußerst konzentrierte Sprayaktionen des "Sprayers von Zürich" mit einer ebenso klar konturierten Komposition Essl's, die sich beide in ständiger Rotation zwischen Zusammenballung und Freiraum, zwischen Konzeptionalität und Spontaneität bewegten.

Die am ersten Abend - an dem nur die in der Mitte des Raumes stehende Glaswand besprüht wurde - noch etwas zögernde Interaktion zwischen Naegeli und den drei Musikern, die im Rahmen vorgegebener Zeit- und Aktionsmodelle ebenfalls mit Möglichkeiten spontanen Reagierens ausgestattet waren, wurde am zweiten Abend zu einer lebhaften Kommunikation zwischen musikalischer und optischer Sprachlichkeit ausgebaut. Dies lag einerseits daran, daß Naegeli hier den ganzen Raum für seine immer öfter auch ausbruchsartigen Aktionen nutzte, sodaß am Schluß an jeder Wand die dunkle Symbolik seiner Zeichen-Gestalten zu sehen war, andrerseits an den immer virtuoser und kühner werdenden Klanggesten der drei hervorragend untereinander agierenden Musiker Sylvie Lacroix (Flöte), Marcus Weiss (Saxophon) und Donna Wagner (Baßkarinette), die auch mit immer mehr Umsicht auf die Aktionen Naegelis eingehen konnten.

Als Gesamteindruck blieb schließlich die auf mehreren Ebenen der Performance deutlich akzentuierte Diskrepanz zwischen dem statischen Detail und einer Prozeßhaftigkeit im Ganzen zurück, die nicht nur Aktion und Komposition, sondern auch die Widersprüchlichkeit zwischen den am Ort fest-"stehenden" Zuschauern und Musikern und dem im Raum "herumsuchenden" Performer Naegeli betraf; eine Suche, die ihrer Natur nach end- und vielleicht auch ziellos ist und deshalb auch an mehreren Orten; u.a. während der Internationalen Ferienkursen in Darmstadt, weitergeführt wird.



Darmstädter Ferienkurse: Spiele mit falschen und echten Farben (Heinz Zietsch)
in: Darmstädter Echo (Darmstadt, 20.7.1992)

Farbe, echte Farbe kam buchstäblich ins Spiel bei dem Live-Performance-Konzert am späten Freitag abend in der Orangerie mit Harald Naegeli, der als "Sprayer von Zürich" bekannt wurde. Partikel-Bewegungen hieß die kurze Performance, zu welcher der österreichische Komponist Karlheinz Essl die Musik beisteuerte, eng bezogen auf Naegelis Sprühaktionen. Im Grunde war es eine Werbeveranstaltung für das "Altuglas" der Düsseldorfer Firma Elf Atochem, dem Sponsor der Veranstaltung. Musik und Werbung, diese Symbiose ist bereits ein alter Hut. Neu dürfte wohl der Einsatz neuestr Musik sein. Behutsam mit der Musik koordiniert, sprühte Naegeli aufs Acrylglas, das sich durchkreutzte, wie Musik und gesprühte Farbe sich durchkreuzen, ergänzen, korrespondieren. Unverkennbar, Naegeli hat in der Orangerie seine Visitenkarte hinterlassen. Am Ende sprühte er ein sonnenartiges Gebilde, das Hoffnung symbolisiert.



Zuletzt leuchtet eine rote Schnecke. Harald Naegeli sprayt farbige Striche zu experimenteller Musik (Renate Stamer)
in: Düsseldorfer Stadtpost (Düsseldorf, 21.12.1992)

Er trägt eine randlose Brille, schwarze Turnschuhe, eine schwarze Bundfaltenhose und einen Pullover mit mehreren kombinieten weißen Balken: Harald Naegeli, der Sprayer aus Zürich. So präsentierte sich der 53jährige, der vor ein paar Jahren noch wegen seiner öffentlichen Spray-Küste bestraft und inhaftiert worden war, gestern bei seiner Spray-Performance in der "Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen". Rund 300 Besucher waren gekommen, um die Entstehung der Raum/Partikel-Bewegungen im großen, weißen Ausstellungs-Saal zu beobachten.

"Man muß das Menschenrecht zu einem Naturrecht erweitern", forderte der Künstler in einleitenden Worten zum "Wesen der Gewalt". Dann setzte sich Naegeli ruhig eine schwarze Atemschhutzmaske auf, zog grüne Müll-Handschuhe an, schüttelte die Spraydose, daß es spannend klackerte, und sprühte einen Punkt auf den oberen Teil eines zwölf mal sechs Meter großen Acrylglas-Kreuzes. In einem dünnen Strch rann die weiße Lackfarbe die Scheibe herunter.

Dazu erzeugte die Französin Sylvie Lacroix auf ihrer Querflöte hauchende bis quietschende Geräusche. Passend zu den weiteren weißen, schwarzen, roten und gelben Strichen setzten Donna Wagner mit ihrer Baßklarinette und der Schweizer Marcus Weiss am Saxophon antwortete mit ähnlichen Klängen. Der Wiener Karlheinz Essl hatte diese experimetelle Musik komponiert. Die Noten hatten große Ähnlichkeit mit den improvisiert gesprayten Strichen von Naegeli. Komponist und Künstler hatten schon in Wien und Darmstadt Performances zusammen gestaltet. Nach Düsseldorf wird ihre letzte Station für diese Kunstaktion Zürich sein. "In Wien durfte Naegeli sogar den ganzen Ausstellungsraum zusprayen", erzählte de österreichische Komponist begeistert.

In der "Kunstsamlung" hielt sich der Künstler dieses Mal zurück, auch wenn die großflächigen, schneeweißen Wände sehr verlockten. Naegeli begnügt sich mit einer schlanken, schwarzen Strichkombination auf der einen Wand und mit einer roten Schnecke auf der anderen, die zum Schluß der Performance entstand. Die Farben schwarz, rot, (gold)gelb hätten nichts mit der deutschen Flagge zu tun, betont Naegeli, sondern sei "eine menschliche Äußerung mit ästhetischen Mitteln, eine Utopie-Konstruktion, eine farbige Konstruktion im Raum".



Die Schreckgestalt des Till Eulenspiegel. Sprayer Harald Naegeli im Kunsthaus (U.I.)
in: Neue Zürcher Zeitung (Zürich,16.2.1993)

(...) Erfreuliches zum Schluß: Während Naegeli an zwei Abenden die Farben sprühte, erklang dazu namenlose Musik des Wiener Komponisten Karlheinz Essl (Mitwirkende: Sylvie Lacroix - Flöte, Donna Wagner - Baßkarinette, Marcus Weiss - Saxophon). Die Komposition mit huschenden Passagen, erstickten, hustenden Tonleitern und einem spontanen Zusammenklang bedeutete vielen Zuhörern ein Requiem auf das von den Mauern Zürichs wggeputzte und übermalte Werk des Harald Naegeli.



Kommunikationsstörungen (Christian Utz)
[Bericht über die Darmstädter Ferienkurse 1992]
in: zwischen-ton (Wien, Sommer 1993)

(...) Dafür wird freilich vor allem eines nötig sein: Mut, die verhärteten Strukturen aufzubrechen und mit neuen Inhalten und Formen zu bereichern, Mut auch zur Öffnung, zum Experiment, zur Zusammenarbeit mit Künstlern unterschiedlichster Couleur. Wege, wie sie sich bei der Essl/Naegeli-Performance Partikel-Bewegungen auftaten, sollten weiter verfolgt und derartige Bereicherungen nicht länger als bloß zur "Würze" dienende Kuriositäten betrachtet werden.



Subtil-wach mit K. Essl (Karl-Heinz Dicht)
in: Neue Kronen-Zeitung (Graz, 6.4.1994)

Der Wiener Komponist Karlheinz Essl stand im Zentrum des Frühlingsprogramms im Stainacher CCW [Cultur Centrum Wolkenstein]: Das superbe junge französische Saxophonquartett XASAX bestritt die Veranstaltung.

Sehr überzeugend, allerdings etwas lang wirkten Essl's gemeinsam mit dem "Sprayer von Zürich", Harald Naegeli, aus dessen "Partikel-Zeichnungen" entwickelte Partikel-Bewegnungen: Eine freie Umsetzung der Spray-"Geräusche" kurzer Punkt, langer Strich und Klackern der Kugeln im Doseninneren.


Neues Repertoire für Orgel seit dem Jahr 2000 (Wolfgang Kogert)
in: Orgelforum, Bd. 21 (Wien 2018), S. 27

In idealer Weise eignen sich Essls Partikel-Bewegungen zur Einführung in eine improvisatorische Spielweise mit avantgardistischen Spieltechniken für Einsteigerinnen und Einsteiger ebenso wie zur Entwicklung von hoch komplexen Interpretationsvarianten für erfahrene Musikerinnen und Musiker.

Inspiriert von den vielschichtigen Partikelzeichnungen des als anonymen Sprayer von Zürich bekannt gewordenen Harald Naegeli (*1939) entwickelte Essl eine grafische Form der Notation, die sich sehr gut an einer mechanischen Orgel mit Schwellwerk umsetzen lässt.

Es gibt weiße Partikel (Registerstellung lässt nur Luft erklingen), graue Partikel (Register soweit gezogen, dass Luft und Ton gleichzeitig erklingen) und schwarze Partikel (Ton erklingt). Die Partikel werden je nach Notation als Liegetöne (Akkorde) oder punktuelle Ereignisse mit oder ohne Vor- und Nachschlagfiguren dargestellt. Weitere Details der Partitur fordern Trillerfiguren, Dynamikverläufe oder Flatterzunge, die sich an der Orgel gut durch Tremolo zwischen beiden Händen umsetzen lässt. Innerhalb dieser gegebenen Regeln lässt sich mittels Clustertechniken und vielerlei selbst entwickelter Griff- und Spielmuster eine gespenstisch schwebende Musik entwickeln. Große Aufmerksamkeit ist wie in der Alten Musik auf Anschlagskultur, Phrasierung und Dramaturgie des Aufbaus zu richten. Alle Pausen und Partikelphrasen müssen rhetorisch gestaltet werden. Die Arbeit am Notenmaterial zu den Partikelbewegungen wurde 1991 abgeschlossen. Verschiedenste Kombinationen von Instrumenten, eventuell in Kombination mit Stimme(n), werden das Werk auch in Zukunft stets in ganz neuen, ungehörten Varianten erklingen lassen.


Karlheinz Essl und Wolfgang Kogert: ORGANO/LOGICS (Rainer Nonnenmann)
in: Neue Zeitschrift für Musik, 1/2024, S. 76

In Partikel-Bewegungen zeigen Essl und Kogert die Orgel als Blasinstrument im Dialog mit erweiterten Artikulationsweisen der Vokalistin Anna Clare Hauf. Neben getönten Blas- und Atemgeräuschen verbinden sich Instrument und Stimme auch durch perkussives Schnalzen, Klappern und Stoßen sowie flirrendes Flattern, Trillern, Vibrieren, Tremolieren.


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Updated: 4 Mar 2024

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