Karlheinz Essl

Portrait KHE

AIR BORNE

generative sound environment for an installation by Stefan Krüskemper
2006


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AIR BORNE - Detailansicht


The Humboldt University science campus in Berlin-Adlershof recently sited the sound installation AIR BORNE on its central lawn. A collaboration between Berlin artist Stefan Krüskemper and Viennese composer Karlheinz Essl, the work consists of 15 ellipsoid sound elements. Passing pedestrians experience individual units, each responding differently with a randomly triggered, rhythmic sequence. Essl wrote the software for what he calls “remembrance images” of the site and its associations—these aural fragments were taken from more than 1,000 audio files found in the German radio archive (Deutsches Rundfunkarchiv). Inspirational inscriptions engraved on the two-foot-high, bright-red speaker elements identify the compositions and offer moments of reflection during silent periods. The historic Modernist buildings surrounding the park provide a framework and counterpoint to the suite of brightly colored spheres. Their random placement on the green gives the cheerful appearance of mushrooms shooting out of the ground, adding an element of humor.

Christina Lanz: Public Art Practice in Berlin; in: International Sculpture Center (Vol. 28 No. 9, Nov 2009)



Die Idee

Die Idee und Konzeption zu dieser permanenten Klanginstallation stammen vom Berliner Künstler Stefan Krüskemper, dessen Projekt AIR BORNE für die künstlerische Ausgestaltung des Campus der neuen Humboldt-Universität siegreich aus einem mehrstufigen Wettbewerb hervorgegangen ist.

Auf den Wiesenflächen des Aerodynamischen Parks in Berlin-Adlershof sind 15 ellipsoide Körper in lockerem räumlichen Bezug zu den Industriedenkmalen und Hochschulgebäuden installiert. Die dauerhaft für den Park entstandene Arbeit eröffnet in der Vorstellung einen erzählerischen Raum aus Klang und Text.

Idee dieser Soundscapes ist es, an 15 ausgewählten Positionen Zeitebenen in Form narrativer Ambientklänge spürbar werden zu lassen und sie mit dem Jetzt zu verschränken. Ansatzpunkt dafür sind die über Tausend Klangstücke, die im räumlichen Zusammenspiel Bestandteil einer zeitlich stark überdehnten Komposition sind.

Die Basis dieser Klangstücke sind authentische Audiodokumente des Deutschen Rundfunkarchivs in Berlin-Babelsberg. Daraus hat der Wiener Komponist Karlheinz Essl mittels einer von ihm entwickelten generativen Kompositions-Software elektronisch nachempfundene »Erinnerungsbilder« über den Ort und seine Bezüge geschaffen.


Stefan Krüskemper und Karlheinz Essl

Stefan Krüskemper und Karlheinz Essl bei der Arbeit
Studio kHz96, 6 Apr 2006


Stefan Krüskemper: "Die Kompositionsstruktur, die als Klangkunst im öffentlichen Raum für den Campus der Humboldt-Universität konzipiert ist, setzt sich aus wenigen Signalklängen, vielen Flüsterklängen und längeren Abschnitten der Stille zusammen. Überraschen die Signalklänge, so setzten die Flüsterklänge und die Stille, als Tableau für die Geräusche des Ortes, ein aktives Hören voraus. Diese drei Klangebenen werden über einem Prozessor zeitlich gesteuert und durch eine Zufallssteuerung immer wieder neu gemischt. Aus dem Zusammenspiel der Klangquellen entsteht ein sich ständig erneuerndes klangliches und räumliches Gebilde."


Die Software

Die über 1000 Klangstücke der Installation wurden mithilfe des von Karlheinz Essls entwickelten AIR BORNE Generators komponiert: Eine Audiosoftware auf Basis der Granularsynthese, die aus den Originalklängen des Deutschen Rundfunkarchivs mithilfe von generativen Kompositionsalgorithmen einen unendlichen Klangstrom erzeugt, der sich in ständiger Bewegung befindet ohne sich je zu wiederholen. Daraus wurden dann die einzelnen Klangstücke segmentiert und als mp3-Dateien auf einem von der Firma Trillian entwickelten Player gespeichert, der so programmiert ist, dass zufällig ausgewählte Klangdateien mit zufällig ausgewählten Pausen alternieren.


AIR BORNE Generator

Benutzeroberfläche von Karlheinz Essls AIR BORNE Generator
© 2006-2018 by Karlheinz Essl


Helga de la Motte: "Mehr als bei anderen Klanginstallationen handelt es sich hier um einen Umgang mit Klang und Zeit, der im Sinne des erweiterten Kompositionsbegriffs, den das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, den schwierigen Balanceakt zwischen strenger Konstruktion und überraschendem Zufall wagt. Die Granularsynthese, der das Archivmaterial unterworfen wird, das heißt die Zerstückelung eines Klangs in ein Granulat, dessen »Körner« sich durch Zufallsoperationen neu mischen, zeigt jene Kontrolle über das Unkontrollierbare, die einerseits größtmögliche Homogenität des Klanggeschehens (alles aus einer Quelle) bei andererseits maximaler Variabilität (unendlich viele Permutationen) bewirkt. Zusätzlich wurden die komplizierten Zufallsprozesse in der Software von Karlheinz Essl so programmiert, dass fließende, musikalische Übergange entstehen können."


Ein Gespräch

Karlheinz Essl: Das Herzstück des „AIR BORNE Generators“ ist ein Art Maschine, die einen bestehenden Klang – ein Sample – in seine Einzelteile zerlegt und aus diesen Einzelteilen, die zum Teil sehr kleine Klangkörner von wenigen Millisekunden Dauer sind, durch bestimmte Operationen neue Klänge formt. Die Software ist generativ aufgebaut, das heißt, die Erzeugung des Klanges erfolgt in Echtzeit auf Grund von Kompositionsalgorithmen, die innerhalb der Zeit sich verändern. Die Steuerung dieser Veränderungen erfolgt wiederum über Zufallsgeneratoren, die allerdings in bestimmten Grenzbereichen operieren, die aber wiederum vom Zufall abhängen. Es ist ein auf vielen Ebenen gesteuertes nicht-lineares System, in dem der Zufall wiederum über den Zufall konturiert wird.

Stefan Krüskemper: Du hast in diesem Zusammenhang von der Brownschen Molekularbewegung geredet.

KHE: Die „Brownschen Molekularbewegung“ steht als Metapher für eine Spielart des Zufalls, der innerhalb eines bestimmten Wertebereiches nicht jeden beliebigen Wert annehmen kann, sondern nur benachbarte Werte aufsuchen kann. Diesem Zufall wohnt eine gewisse Trägheit inne. Wenn er beispielsweise einmal den Wert siebzig gewählt hat, dann kann er beim nächsten Mal nicht den Wert siebzehn wählen, sondern höchstens sechzig. Dieses Prinzip ist eminent musikalisch, weil dadurch nämlich immer fließende Übergänge und Bewegungen entstehen, die beim Hören nachvollziehbar sind.

SK: Gehen wir doch die Software der Reihe nach durch: Du hast ganz oben so einen ersten Bereich, wo du auf alle fünfzehn Positionen, bzw Klangstücke zugreifen kannst und damit die entsprechenden Samples aus dem Archiv und die jeweiligen kompositorischen Parameter einlädst. Hier direkt neben gibt es dann eleganterweise den entsprechenden Subtext dazu, der die inhaltlichen Vorgaben enthält.

KHE: Die folgende Ebene bezieht sich auf das Ausgangs-Sample selbst und enthält Anweisungen, wie die daraus gewonnen Klangkörner strukturiert sind, wie groß sie sind und wie weit sie überlappen können und wie stark sie in ihrer Tonhöhe verändert werden können.

SK: Darunter liegt die dritte Ebene, die du als Herzstück beschrieben hast.

KHE: Das sind diese fünf verschiedene „Granulierer“, die allerdings nicht alle zur gleichen Zeit laufen. Es läuft immer der ganze rechte, das ist sozusagen der rote Faden. Dort wird der Klang auch nicht transponiert, sondern in seiner Originalgestalt gespielt, auch wenn er in Körner zerlegt ist. Und diese anderen vier Granulierer, die zum Teil auch das Ausgangs-Material transponieren können, werden von einem Modul, das ich „conductor“ (also Dirigent) nenne, immer wieder zu- und abgeschaltet. Es ergibt sich dadurch, dass immer wieder eine Schicht dazu kommt oder wegfällt und so fließende strukturelle Verdichtungen und Verdünnungen entstehen.

SK: Mir gefällt so gut daran, dass du eine Balance zwischen Referenzklang und freier Komposition über dieses Modul gefunden hast. Kann ich das so vereinfachend sagen? Das hat schon etwas mit diesem Modul ganz rechts zu tun, das den roten Faden bildet?

KHE: Absolut ja.

SK: Und von dem Herzstück aus kommt man dann in die vierte Ebene, des sozusagen Atmosphärischen, was den entstandenen Klang noch einmal einfärbt.

KHE: Das ist so ganz gut beschrieben. Es ist so eine Art Filtersystem, wo verschiedene Arten von Klangveränderungsprozessen eingesetzt werden, deren Intensität wiederum einstellbar ist. Das heißt aber, diese eingestellte Intensität zeigt nur wie stark diese Veränderung maximal sein kann. Innerhalb dessen gibt es wieder Zufallsoperationen, die das Mischungsverhältnis dieser Effekte auch zeitvariant ständig variieren. Dieses Modul zum Beispiel ist ein Bandpass, der das hörbare Frequenzspektrum begrenzt und nur bestimmte Teile des Spektrums durchlässt, wodurch der Klang sehr stark reformiert werden kann und zum Teil völlig unkenntlich wird. Das letzte Fenster enthält die Optionen zum Output, wie Länge und Lautstärke der Stücke. Die Software generiert die Klänge, die dann vor Ort hörbar werden, als Soundfiles, die von einem eigens dafür entwickelten MP3-Player im Random-Mode abgespielt werden.

Dieses Gespräch fand am 3. Juli 2006 im Atelier von Stefan Krüskemper in Berlin statt. Ins seiner vollen Länge ist es im Katalog zur Klanginstallation AIR BORNE nachzulesen.


Ein Soundwalk

Zum Nachhören von AIR BORNE - zu Hause oder unterwegs mit dem Mp3-Player - wurde ein virtueller SOUND WALK durch den Campus des Aerodynamischen Parks als mp3-Download veröffentlicht.

Der Spaziergang beginnt am Eingang zum Park gegenüber dem Gebäude der Physik, führt am Hörsaal vorbei, den diagonalen Weg entlang zum Motorenprüfstand, weiter zum Großen Windkanal und endet schliesslich am Trudelturm. Der SOUND WALK ist mit der generativen Software von Karlheinz Essl von Stefan Krüskemper in Echtzeit erstellt worden. Originaltöne des Ortes bilden den Hintergrund des Stücks. Die Passagen der Stille sind gegenüber der Soundinstallation vor Ort verkürzt und damit für das Hören zu Hause angepasst.


Virtual soundwalk through the AIR BORNE environment (17:37)
© 2006 by Karlheinz Essl und Stefan Krüskemper
Creative Commons-Lizenz


Videos

Video walk, filmed by Karlheinz Essl (6 May 2011)


CD

AIR BORNE: CD - seriés sonores 45   Am 17. Oktober 2006 besuchte der Berliner Autor und Filmproduzent Uli Aumüller den Aerodynamischen Park, auf dem Tags zuvor die AIR BORNE Installation fertig gestellt wurde. Ausgerüstet mit seinem mobilen Aufnahme-Equipment bewegte sich Aumüller bedächtig durch das Klangenvironment und nahm einen 80-minütigen O-Ton dieser Arbeit auf, der soeben in der Audiokunst-Reihe seriés sonores auf CD erschienen ist.

  AIR BORNE - Les séries sonores 45
Recorded and produced by Uli Aumüller (Berlin 2006)
Preis: € 12.80
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english At the Aerodynamic Park in Berlin-Adlershof, 15 red loudspeakers distributed in open space recall the history of a location which served as the center of the German aviation at the beginning of the 20th century. The installation was conceived by the artist Stefan Krüskemper - the composition of the sound environment was carried out by the Viennese composer Karlheinz Essl, based on authentic audio material from the German Radio Archive. This CD represents an 80 minutes walk through this environment where the sounds from the loudspeakers interfere with the natural ambient soundscape of the location.


Die Lautsprecher

Die Wiedergabe der Klänge erfolgt über 15 signalrote ellipsenförmige Lautsprecher, die über das ganze Gelände verteilt sind. Diese Ellipsoide enthalten an ihrer Außenhülle zusätzlich einen eingravierten Text, der auf der Ebene der Vorstellung einen narrativen Raum öffnet. So bleibt die Präsenz und die Erwartung auch während der Stille der Stücke bestehen. Die Geräuschkulisse des heutigen Aerodynamischen Parks selbst wird in diesen Leerstellen zu einem Teil des ästhetischen Konzepts und zu einer den Alltag umfassenden Komposition.


AIR BORNE Generator

Positionen der Lautsprecher am Aerodynamischen Park
© 2006 by Stefan Krüskemper


Der Standort

Aerodynamischer Park: Campus Adlershof der Humboldt-Universität, Newtonstr. 14–18, 12489 Berlin. Die Klanginstallation ist dauerhaft installiert und jederzeit frei zugänglich.


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Literaturverzeichnis



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Updated: 8 Jan 2024

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