Mathias Fuchs

Gehörte Musik.

Con una certa espressione parlante
von Karlheinz Essl & Gerhard Eckel
1986


Ein Duett für Klavier und Tonbandgerät erfordert Noten für den Pianisten und den... wie soll man sagen? Tonbandisten? Bandör? Tonband-Spieler! Die oberen drei Zonen des abgedruckten Partiturausschnitts bestimmen das Klavier in seinem Baß-, Mittel- und Diskantbereich. Darunter findet sich eine schmale Zeitleiste und unter dieser Zeitleiste zwei Tonbandzonen für den rechten und den linken Stereokanal eines Bandgerätes. Außerdem findet man Ziffern, die Zeitpunkte markieren, und - in kleinen Quadraten - Anweisungen für den Tonbandspieler.

Play, Record, Stop, Schneller Vorlauf (>) und Rücklauf (<), 5 Tasten, die jedem Walkman-Schulkind so vertraut sind wie seine eigenen 5 Finger, werden in Essl's Komposition mit der gleichen Sorgfalt behandelt, wie sonst höchstens die 84 Tasten des Klaviers. Die Zeitpunkte, an denen das Tonband zu starten, rückzuspulen oder anzuhalten ist, sind exakt notiert. Und das ist sicher ein interessanter Aspekt an con una certa...: Mit dem Tonband als Instrument werden musikalische Segmente zu handhabbaren Teilen.

Con una certa espressione parlante, Partiturausschnitt S. 9
© 1985 by Karlheinz Essl & Gerhard Eckel


In der Sprache der Informatik könnte man von Unterprogrammen reden. Die Partitur wäre das Programm, also eine Folge von Befehlen, und die Tonbandbedienungsbefehle wären Unterprogrammaufrufe, also Ausführungsanweisungen für ganze Tongruppen. Im Gegensatz dazu weist eine Klaviernote nur einen einzigen Ton an. Solch eine einzelne Note müßte man dann - informatisch - als elementaren Befehl bezeichnen.

Im "Notenbild" sind die Unterprogrammaufrufe mit den Symbolen P, R, S, >, < für die Tonbandfunktionen bezeichnet. Der aufwärts gerichtete Pfeil steht vor Partien, an den der Tonbandspieler scratcht. (Oder, wie es bei Essl/Eckel etwas weniger profan heißt: Tonband-Rangieren). In einer Fußnote heißt es dazu: "Das entsprechend positionierte Stück Tonband wird mittels händischer Hin- und Herbewegung der Wickelteller am Wiedergabekopf vorbeibewegt. Die dabei entstehenden Klänge sollen den Ausdruck einer affektierten Sprache haben."

Dieser Sprach-Ausdruck musikalischer Klänge - espressione parlante - "bildet die gedankliche und emotionale Achse des ganzen Werkes."[1] Deshalb auch der Titel des Stücks, der aus Beethovens Bagatelle op. 33 entlehnt ist. Der Partitur ist bereits anzusehen, daß hier Klavier und Tonband einen Dialog führen, der Rede und Antwort-Sprechmuster enthält (nach der Zeitmarke O beispielsweise wechseln die oberen Zonen des Klaviers ständig mit den scratch-Aktionen des Tonbands) oder ein "Nachplappern" des Tonbands vorführt. Letzteres ist an diesen Stellen der Fall, wo die schraffierten Dreiecke (Glissandi in den Saiten) zuerst für das Klavier und dann für das Tonband kommen. Gleicherweise folgen schwarze Punktwolken (geschlagene Klaviersaiten) von Tonband denen des Klaviers.

Wenn weitere Hinweise hier ausgespart werden, dann nur, um Anderem Platz zu machen. Denn "die Musik beginnt dort, wo die Sprache endet." (Heinrich Heine)

© by Mathias Fuchs / FALTER (1986)


[1] "Marginalie" von Karlheinz Essl und Gerhard Eckel zu dem Stück für Klavier und Tonband


in: FALTER 4/86 - Teil III der Serie "Gehörte Musik" über graphisch notierte Kompositionen.



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Updated: 2 Jan 2020

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