Der Raum: "virtuell" und doch auch ziemlich konkret
(Reinhard Kriechbaum)
in: Salzburger Nachrichten (Salzburg, 08.08.1997)
Musik im Raum lade den Hörer "zur aktiven Teilnahme am Klanggeschehen ein", schreibt Karlheinz Essl. So werde der Hörer "selbst zum Schöpfer, der erst im Akt des Hörens aus den mehrdeutigen Rauminformationen seine persönliche Fassung des Werkes konstruiert. Kreatives Hören wird so zur Reflexion der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und vermag uns darüber hinaus neue Möglichkeiten von Welt zu zeigen."
Da ist festgeschrieben, was viele Komponisten der Generation von Essl verbindet, was mithin so recht zeitgeistig ist. Ein Schelm, wer argwöhnt, daß da mit Raum-Experimenten Dinge erkundet würden, die eine Generation vorher schon hinlänglich ausgetestet hat, daß also das Rad noch einmal erfunden werde. Jetzt wird, sehr elegant, dem Hörer das Bummerl zugespielt; er muß sich an die "Reflexion der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit" machen.
Gerade an Essls Stück ...wird sichtbar am Horizont, einem am Mittwoch vom "Ensemble Modern" im Mozarteum uraufgeführten Auftragswerk der Festspiele, kann und muß man das zeitgeistige Postulat befragen. Das Werk ist so phantasiereich, so geschickt und instrumentengerecht gesetzt, es lebt von kühnen Vermischungen der Klangfarben - warum um alles in der Welt darf sich der Hörer nicht einfach so einlassen auf diese anschaulich konzipierte, spannende und mitteilsame Musik? Warum nach weiteren "Möglichkeiten von Welt" suchen, die dann etwa so aussieht: Die Flöte kommt vom Balkon, links hinten, und es ist deutlich zu hören, daß ein Cello in rund sechs Metern Entfernung, ebenfalls links, aber eben mehr zur Saalmitte hin aufgestellt ist. Jede Wette, daß-von dieser Musik nichts verlorengegangen wäre, wenn nicht nur der Pianist und die beiden Schlagzeuger, sondern das gesamte Streicher- und Bläserensemble auf dem Podium Platz genommen hätte.
Karlheinz Essl ist bei weitem nicht so sehr Konstruktivist und von der Technik besessen, wie in der selbstgewählten Verunstaltung seines Namens (er schreibt das a mit dem Computersignum des "Klammeraffen") anklingen mag. Er ist ein präziser Denker in Klangfarben. Das Spaltende, sich voneinander Absetzende interessiert ihn eher als die Synthese.
Raum wird hier zum Klang
(Ernst Naredi-Rainer)
in: Kleine Zeitung (Graz, 08.08.1997)
Die ungewöhnliche Position des Dirigentenpults galt der Uraufführung einer Auftragskomposition der Salzburger Festspiele. Am Mittwoch wurde im Großen Saal des Mozarteums, der bei der Konzeption dieser 1996/97 entstandenen Komposition eine wichtige Rolle spielte, Karlheinz Essls ...wird sichtbar am Horizont aus der Taufe gehoben. Erstmals zu hören war dabei ein Stück, das verschiedene Bedeutungsebenen in sich vereint und mit seiner komplexen Struktur unverkennbar die Handschrift des 1960 in Wien geborenen Komponisten trägt.
Der Titel seines für Salzburg geschriebenen Werks entstammt einem Gedicht von Ingeborg Bachmann, die darin das Lebensgefühl nach der einschneidenden Zäsur des Zweiten Weltkrieges beschrieb. Das Aufgreifen dieser Stimmung stellt einen Aspekt der Komposition dar, auf rein musikalischer Ebene stellt er ruhige Klangflächen und energiegeladene Gesten einander gegenüber, verwebt sie zu einem dichten Dialog, der vom aggressiven Beginn zum ruhigen Ende führt, das Haltetöne auseinanderfasert und verebben läßt.
Große Bedeutung kommt auch dem rein klanglichen Element zu, einerseits der Abwendung vom Geräuschhaften, andererseits der Verteilung im Raum. Auf dem Podium saßen hinter dem Dirigenten nur drei Instrumentalisten, die übrigen Mitglieder des exzellenten Frankfurter Ensembles Modern hatten sich auf dem Balkon verteilt, um den Raum zum Klang werden zu lassen und mit dem Klang einen Raum zu errichten, den jeder Zuhörer aus einer anderen Perspektive wahrnimmt.
Die heftig akklamierte Uraufführung dieses von Betty Freeman gesponserten Auftragswerkes war der abschließende Höhepunkt des ersten der beiden "Next Generation"-Konzerte.
Raum voller Geräusche
(Edith Jachimowicz)
in: Die Presse (Wien, 8.8.97)
(...) Das Ensemble Modern Frankfurt und Dirigent Hans Zender standen im Mozarteumssaal zur Verfügung, um Essls Auftragskomposition ...wird sichtbar am Horizont für räumlich verteiltes Ensemble aus der Taufe zu heben.
Essl gehört zu jener Garde der komponierenden Intellektuellen, die sich intensiv mit den Phänomenen Klangraum und Raumklang auseinandersetzen. Sein jüngstes Werk hat er nach eigenen Angaben für den Großen Saal des Mozarteums geschaffen, für dessen traditionelle Form mit Guckkasten-Podium und um den Zuschauerraum herumlaufender Galerie. Auf Podium und Galerie verteilt er daher die Musiker, läßt sie Klänge und Geräusche in den Raum stellen, damit aufeinander reagieren oder das eigene Raumklangerlebnis weitertragen.
Wunderbarer Abend mit neuer Musik
(Ilse Retzek)
in: Oberösterreichische Nachrichten (Linz, 8.8.97)
Am einmütigsten an diesem wunderbaren "Next Generation"-Abend im Salzburger Mozarteum, den der jungen Komponist Karlheinz Essl programmiert hatte, war noch die Uraufführung seines von den Salzburger Festspielen in Auftrag gegebenen Stückes ...wird sichtbar am Horizont für räumlich verteiltes Ensemble, wenngleich auch in bester zeitgenössischer Tradition. Trotzdem, mit der atmosphärischen Dichte seiner Entsagung, in der vier Instrumentalisten und vier Lautsprecher eine so lebendige wie dramatische "Lost-World"-Klangkulisse zauberten, konnte die seriöse Gediegenheit, etwas aufgelockert durch das bewußte Verteilen der einzelnen Instrumentengruppen im ganzen Saal, nicht mithalten.
Salzburg modern
(Jürg Stenzl)
in: Falter 33/97 (Wien, August 97)
Im für Salzburg geschriebenen Werk ...wird sichtbar am Horizont werden Musiker des virtuosen Ensemble Modern unter Hans Zenders Leitung im Raum verteilt. Da fesselt zunächst das Springen von erregten Figuren und bloß dynamisch sich verändernden Zentraltönen im Saal. Man überhört da leichter, daß der Komponist in der Wahl seiner Materialien mitunter wenig wählerisch ist und daß ein an sich einfacher Tonsatz mit viel Drumherum verpackt wurde.
Neues im Geist der Väter
(Robert Wolf)
in: Salzburger Volkszeitung (Salzburg, 8.8.97)
Die Uraufführung des Auftragwerkes der Salzburger Festspiele ...wird sichtbar am Horizont für räumlich verteiltes Ensemble bestätigt den perfekten Umgang mit Klangerscheinungen im Raum. Das Spiel glich einer in weite Dimension übertragenene Kammermusik. Vom Bezug zu dem erschütternden Gedicht "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Bachmann hätte man andere Grade des Ausdrucks erwartet.
Karlheinz Essl - Personale und Jubliäum
(Martin Gut)
in: Österreichische Musikzeitschrift, Nr. 6-7, 2005
(...) In ...wird sichtbar am Horizont prallen konturierte Gestalten anf Klangflächen, und auch dieses Stück bezieht seine Spannkraft aus der Annäherung und dem Auseinandertreten gegensätzlicher Prinzipien. (...)
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Updated: 15 Dec 2016