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In „Sterbebett mit Pappendeckeln“ beschreibt der 2010 verstorbene österreichische Autor Andreas Okopenko den sprichwörtlichen Überlebenskampf eines Individuums in oberflächlichen Kommunikationsstrukturen. Das Stück ist richtungsweisend für die Vernetzung von Kunstsparten. Es verbindet die Bereiche „Sprache“, „Bildwelt/Medienkunst“ und „Musik“.
Ursprünglich als Auftragswerk für den Steirischen Herbst 1974 geschrieben und erst 2011 uraufgeführt, steht das Stück in der Tradition der experimentellen österreichischen Literatur eines Ernst Jandls oder Konrad Bayers. Seine dramatische Form ist ASSOZIATIV, nicht linear, und der Collagetechnik des Surrealismus verwandt. Wittgenstein ist – wie zum Beispiel auch bei Elfriede Jelinek – Okopenkos sprachphilosophischer Hintergrund.
Der 2010 verstorbene Autor hatte in seinen letzten Lebensjahren die kolossale "Originalpartitur" - in Zusammenarbeit mit dem Dramaturgen Michael Cerha und der Regisseurin Sandy Tomsits - vereinfacht und aktualisiert.
DREI FRAUEN treten noch einmal in Matthes Erinnerungsprozess: Die Erste Liebe, die Hure, die Ehefrau. Matthes versucht dem Wesentlichen dieser Begegnungen nachzuspüren. In seinem Delirium fällt Matthes immer wieder in seine Kindheit zurück, er saugt an einem Riesenbusen. Er kämpft gegen einen Riesen-Hund, gegen seine Angst vor Verletzung, Krankheit und vor dem Scheitern. „Es gibt keine Geschichten, es gibt nur das Chaos der Gegenwart“, und: „das menschliche Gehirn ist ein Absurdum angesichts der Zeit, die abläuft.“
„Pappendeckel“ ist eine Chiffre für das Produzieren von oberflächlichen Vorstellungen vom Glück und deren Nichtigkeit. Wie aus Pappendeckeln sind die Erinnerungen und Emotionen die hochkommen, wenn das Leben zuende geht. Der gegenwärtige Moment, das „Fluidum“, wie es der Autor nennt, ist der eigentliche Moment des Wahrhaften, die Existenz. Um diese kämpft Matthes.
Wir konzentrieren uns auf die „Katastrophe des Individuums“. Auf den Versuch der Hauptfigur, das Wesentliche des menschlichen Daseins zu beschreiben. Auf die surrealen Elemente im Stück, die zugleich Matthes explosionsartige Erinnerungen sind.
STERBEBETT MIT PAPPENDECKELN
Video-Teaser von Reinhard Mayr (2011)
Schlussszene: Una furtiva lagrima
Léla Wiche: Sopran, Gaetano Donizetti/Karlheinz Essl: Musik
So lag es auf der Hand, der Musik in der Uraufführung dieses Werkes einen prominenten Platz einräumen, weit größer als in herkömmlicher Theatermusik. An Stelle von Zwischenmusiken und illustrativem Klangdesign tritt ein durchgestalteter Soundtrack, der das ganze Stück wie ein roter Faden durchzieht. Dieser wird vom Komponisten Karlheinz Essl während jeder Aufführung live auf einem selbstentwickelten elektronischen Instrumentarium gespielt. Dadurch läßt sich nicht nur eine äußerst präzise Synchronisation mit dem szenische Geschehen erzielen, sondern darüber hinaus auch improvisatorische Freiräume nutzen, wodurch spontan auf die jeweilige Bühnensituation eingegangen werden kann.
Die Musik kommt deshalb nicht aus dem Off oder von der Konserve. Der Komponist/Performer ist mit seinem elektronischen Instrumentarium auf der Bühne präsent und wirkt dort als Darsteller – als "Master of Ceremonies" – mit. Neben einem Laptop und verschiedenen Reglerpulten (sog. MIDI-Controllern) verwendet Essl auch eine Videokamera, die Gesten in Klänge transformiert sowie eine von Johann Feilacher gestaltete Klangskulptur, die via Kontaktmikrophon in das Klangenvironment eingebunden ist.
Im Unterschied zu konventionellen Theatermusiken manifestiert sich Essls Komposition nicht in Form einer ausnotierte Partitur, sondern als interaktives Environment, das als Computerprogramm implementiert ist. Dieses fungiert einerseits als "Orchester", das vom Komponisten mithilfe verschiedenster Controller und Devices wie ein Instrument live gespielt wird. Daneben reflektiert es aber auch den gesamten szenischen Ablauf des Theaterstücks, dessen einzelne Stationen in Form von sog. "Presets" abrufbar sind. Diese definieren die klanglichen, materiallen und strukturellen Parameter (= Zustandbeschreibungen) für die unzähligen szenischen Momente des Werks, deren jeweilige Klangpassagen passgenau in die szenische Umsetzung integriert werden können.
Karlheinz Essl: Summertime Theme (aus: "Sterbebett mit Pappendeckeln", 2011)
Fotos © 2011 by Reinhard Mayr
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Updated: 3 Feb 2024