Uraufführung in der Basilika am Sonntagberg (Leo Lugmayr)
in: NÖN, 30. Oktober 2023
Ein einzigartiges Erlebnis vermittelte die Uraufführung der „Gesualdo-Fragmente“ von Karlheinz Essl in kongenialem Zusammenspiel mit einer Textmonatage, die Schauspieler Markus Hering nicht besser inszenieren hätte können.
Es war ein Gesamtkunstwerk vom Anfang bis zum Verklingen des letzten Tons in der Basilika am Sonntagberg. Und Anfang hieß in diesem Fall eine Stunde vor Beginn des Konzerts. Denn bereits ab 18.30 Uhr wurde am Samstag das heilige Grab in der Basilika mit Motetten von Carlo Gesualdo da Venosa von Tonband bespielt; Musik, die in die sphärischen Fragmente des Komponisten Karlheinz Essl übergleiten ließ, die ab 19.30 Uhr im nur spärlich beleuchteten Raum der Kirche erklang.
Essl verwendete zwei Kompositionen aus Gesualdos letztem Madrigalbuch, defragmentierte sie und montierte sie zu einem Klangteppich, der durch die Halligkeit des Kirchenschiffes noch überhöht wurde. Das eine war ein „schwebendes“ Vokalstück, das andere eine von Essl angefertigte Transkription für Laute, Gesualdos Lieblingsinstrument. Diese wurden von Markus Hering in seiner einzigartigen Rezitierkunst mit Textmontagen von Peter Back-Vega und Bernhard Herrmann konnektiert.
Ist Gesualdo zeitlich und stilistisch am Übergang der Renaissance zum Barock verortet, so bleibt sein manieristischer Stil stets der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts verpflichtet. Kennzeichnend für Gesualdos Kompositionsstil ist der häufige Einsatz von Chromatik und unerwarteten Tonartwechseln zum Zwecke der eindringlichen Ausdeutung der Textvorlagen. Damit fällt er aus seiner Zeit heraus und nimmt Stilprägungen des 20. Jahrhunderts förmlich vorweg. Genau hier setzt Essl in seiner Fragmentierung an. Er zerlegt Gesualdos Materialien und setzt sie live zu neuen Klangfiguren zusammen, die aber der Ausgangskomposition stets verbunden bleiben. Dieser Umstand macht zusammen mit der einzigartigen Klangkulisse der Basilika die Uraufführung des Werk nicht nur einzigartig, sondern auch unwiederholbar.
Zwölf Fragmente formt Essl aus und schlüsselt sie in vier Charaktere auf, wobei statische, aber innerlich bewegte Klangflächen, in denen die Zeit stillzustehen scheint, auf rhythmisch prägnante Pulsationen von Lautenklängen treffen. Eingebettet sind sie in zwei mit „Tasso“ überschriebene Fragmente, in denen intime Flüsterungen Dialogfetzen zweier Liebender abbilden.
Markus Herings Rezitation von Gesualdos Lebensabbildung fügte sich mit Essls Elektronik-Performance zu einem Gesamtkunstwerk.
Klangraum im Herbst – Basilika Sonntagberg. Gesualdo – Fürst, Mörder und Komponist (Robert Voglhuber)
in: Der Ybbstaler, 3. November 2023
Rezitator Markus Hering und Elektronik-Performer Karlheinz Essl übertrugen vergangenen Samstag Schauderhaft-Blutrünstiges, aber auch Licht im Dunkel der Renaissance um Neapel in die hallende Kirche am Sonntagberg.
Wie ein ferner Schatten erscheint uns der begnadete Komponist und Erbe des Fürstenhauses Gesualdo in Neapel vor 500 Jahren, und doch ist er uns auch sehr nah. Die Corona-Zeit hat viele Menschen auf sich selbst zurückfallen lassen. Kontemplative Spuren von damals (2021) sind vereinzelt geblieben. Man merkt das in so manchen Lebensbereichen.
Am Samstag, dem 28. Oktober, haben sich interessierte Musikfreunde in der Basilika Sonntagberg im Heiligen Grab, eine kleine Kapelle seitlich hinter dem Altarbereich, eingefunden, um Einspielungen aus Gesualdos Kompositionen zu lauschen. Eine Musik, die irgendwie ewiglich tönt, weiträumig, ruhig, in langen Bögen sich verschlingenden Stimmen. Gesualdos Madrigale, kontemplative, mehrstimmige Vokalmusik, erklang als musikalische Einstimmung vor dem eigentlichen Veranstaltungsbeginn. Das Madrigal ist eine wichtige Gesangsform der Renaissance und des Frühbarock. Einer der herausragenden Komponisten ist Gesualdo, Fürst von Venosa, der unter anderem eindrucksvolle, ja zukunftsweisende 144 Madrigale hinterlassen hat.
Zu Gast bei der Hauptveranstaltung waren Komponist Karlheinz Essl, der Gesualdo-Fragmente in elektronische Soundperformance umsetzte, und Burgschauspieler Markus Hering, der eindringlich und einfühlsam und voller Empathie signifikante, ja schauerlich-gruselige Passagen aus Gesualdos Biografie las und diesen für uns wieder zum Leben erweckte. Sie schufen eine Brücke aus der Geschichte einer fernen Repertoire-Vergangenheit ins Heute. Sie hat etwas Unsterbliches, Zeitloses und berückt total. Schauderhaftes, Grauenvolles, Entsetzliches bis zum Doppelmord sind Inhalte, die erschüttern lassen. Diese Geschichte wühlt auf. Aber nicht nur die Geschichte von damals ist es, die uns erschüttert, die Gegenwart genauso schreckt vor Ungemach und Missetaten, Folter, Mord und Totschlag nicht zurück.
Pater Franz Hörmann deutete darauf hin in seiner Einführungsrede! Während der Veranstaltung drängt sich in mir eine Frage von besonders luzider (klarer) Intimität auf. Warum wird das alles in einer Kirche aufgeführt, noch dazu in der riesigen Barockbasilika Sonntagberg? Nun ja, Spendenaufruf für Turmrenovierung kann es nicht allein sein. Da steckt doch mehr dahinter, glaube ich. Und schon sind wir beim Glauben. Klangflächen/Soundscape, Lautenklänge und verzerrte Dialogsequenzen durchfluten den Kirchenraum und bringen die vom Wind der Geschichte verwehten Manifeste uns zu Gehör. Was in der Renaissance vielleicht dingliche Musik war oder auch sakrale, wird bei Karlheinz Essl abstrakt, obwohl sie dient, weil sie den Glauben beschwört, so meine ich, eine höhere Macht anruft und die Existenz auf Erden leichter machen möchte. Gesualdos Kompositionen mögen durchwegs weltlich sein, wie es Madrigale damals waren, aber dennoch rufen sie eine höhere Macht an. So mein Eindruck. Damals wie heute: Man mag diese Macht Gott nennen. Wir müssen das aber nicht. Wir konnten uns auch einfach von diesen schwebenden, artifiziellen Tönen davontragen lassen beim meditativen Schweifen durchs kathedrale Barockgepränge.
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Updated: 30 Oct 2023