Marie-Theres Arnbom

Die (Al-)Chemie der Musik

Karlheinz Essl und die Liebe zur Veränderung
2004


Was haben Chemie und Musik gemeinsam? Karlheinz Essl, gelernter Chemieingenieur und Komponist, über Klang-Alchemie, die heilige Zahl Drei, Raumklang und Hexenkessel.

Karlheinz Essl verwendet in unserem Gespräch viele Worte aus der Welt der Chemie, kein Wunder, widmete er sich doch vor seinem Studium an der Musikhochschule dieser Materie. Dass also immer wieder Worte wie Elemente oder Alchemie fallen und er eines seiner Werke el-emen’ nennt, verwundert nicht. Auch nicht, dass es ihm wichtig ist, dass beschleunigte Klänge durch den Raum fegen – man sieht fast die Atome, aus denen diese Klänge bestehen. Musik wird angreifbar, Musik wird zur Materie, und plötzlich ist die Verbindung zwischen Chemie und Musik (be-)greifbar.

Karlheinz Essl meint, dass sich das Komponieren heute grundlegend von dem im 19. Jahrhundert unterscheidet: Damals waren die Komponisten oftmals nur „Schreibtischtäter“, wie er es bezeichnet. „Sie schrieben ihre Stücke für die Nachwelt und konzentrierten sich in erster Linie auf das Verfassen von Partituren. Heute ist das ganz anders: Der Komponist verlässt den ‚Elfenbeinturm’ und begibt sich hinaus ins Leben, wo andere Eindrücke auf ihn einströmen und ihn inspirieren.“ Der Komponist Karlheinz Essl lässt sich auf Neues ein, er widmet sich der Improvisation und entwickelt daraus seine Werke.

  Karlheinz Essl


Drei Abende gestaltet Karlheinz Essl im Linzer Brucknerhaus, jeder steht unter einem ganz besonderen Thema und ist auch der Zahl Drei verpflichtet – Zahlenspielereien dieser Art liegen Essl besonders am Herzen.


Die Nacht des Schlagzeugs
Mo, 19.04.2004
Studio Percussion graz

Der erste Abend zeigt in drei Konzertteilen das breite Spektrum dieses Instrumentariums. Von small is beautiful über space bis in and out. Was erwartet das Publikum bei diesem Abend? Im Saal verteilte Trommeln, die den Raum zum Klingen bringen. Leise Klänge, durchbrochen von Paukenschlägen. Unerwartete Effekte, die ganz neue Erfahrungen mit sich bringen.

In Karlheinz Essls Werk ex machina, das unter dem Motto space zu Aufführung kommt, umzingeln sechs Schlagzeuger das Publikum und lassen es fast plastisch miterleben, wie sich eine Maschine langsam selbst zerstört.

Solche und viele andere Wirkungen hat Karlheinz Essl programmiert – eigene Werke kombiniert mit denen anderer Komponisten bieten ein breites Spektrum von Klängen und Effekten – schon im Gespräch wird man neugierig, was so alles passieren wird, was denn so alles an Unerwartetem und Neuem für Anregungen und Gedankenanstöße sorgen wird. Und wie Essl den Konzertsaal in einen Hexenkessel verwandeln wird.


P.H.E.M
Mo, 26.04.2004
Polisiodis - Hollinetz - Essl - Mütter

Der zweite Abend steht unter dem Motto P.H.E.M. Was verbirgt sich hinter dieser ungewöhnlichen Buchstabenkombination? Die Erklärung ist leicht: Die Mitwirkenden selbst sind es, die dem Abend den Namen geben: Dimitrios Polisoidis, Klaus Hollinetz, Karlheinz Essl und Bertl Mütter. Sie geben dem Abend auch deshalb den Namen, weil er ganz im Zeichen der Improvisation steht. In allen nur möglichen Kombinationen werden die Musiker in wiederum drei Konzertteilen Ungewöhnliches zu Gehör bringen: Die drei Musiker erzeugen die Musik, die Klaus Hollinetz in sein Klangprojektionssystem einspeist und durch den Raum schickt – und wiederum spürt man die Chemie der Musik, die Elemente, die beschleunigt oder verlangsamt werden, um bestimmte Verbindungen miteinander eingehen zu können.


Eine Reise durch Klang und Raum
Mo, 03.05.2004
Ensemble Recherche

Am dritten Abend hat Karlheinz Essl eines der renommiertesten Ensembles für Neue Musik zu Gast: Das Ensemble Recherche, mit dem er eine Reise durch Klang und Raum antritt. Und in diesem Rahmen auch ein neues Stück als Voraufführung präsentieren wird: blur, was soviel heißt wie verschwimmen. Drei Instrumente – Altflöte, Cello und Vibraphon mit gedrücktem Pedal – verbinden sich zu ungewöhnlichen Klangstrukturen, die sich vermischen, dabei ihren Charakter wechseln und auch verlieren. Ein Klangsumpf entsteht, aus dem „instrumentale Klänge wie Sumpfblüten“ aufsteigen, wie Essl dies sehr poetisch ausdrückt.

Auch dieses Werk wird von der Dreiteiligkeit beherrscht: 3 Ensembleteile und 3 Soloteile wechseln einander ab, um sich am Schluss in einer „Babuschka“ genannten Sequenz zusammenzufinden: Die vorhergegangenen Teile werden immer weiter und weiter verkleinert, bis das allerkleinste Babuschka-Pupperl übrigbleibt. Auf dessen Aussehen dürfen wir gespannt sein.

© 2004 by Marie-Theres Arnbom

Brucknerhaus



Biographie Karlheinz Essl

Karlheinz Essl   Karlheinz Essl, geboren 1960 in Wien, studierte nach einer Ausbildung zum Chemie-Ingenieur an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien Tonsatz bei Alfred Uhl, Kontrabass bei Heinrich Schneikart, Komposition bei Friedrich Cerha und Elektroakustische Musik bei Dieter Kaufmann. Sein Studium der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien schloss er 1989 mit einer Dissertation über Das Synthese-Denken bei Anton Webern ab.

Essl begann als Kontrabassist in verschiedenen Kammermusik- und experimentellen Jazz-Ensembles. Parallel dazu setzte er sich mit mittelalterlicher Musik und Fragen der Aufführungspraxis auseinander. Besonderes Augenmerk gilt der Untersuchung über die Formalisierbarkeit musikalischer Prozesse (Computer Aided Composition). Die theoretische und praktische Aufarbeitung serieller Denkansätze brachten ihn in engen Kontakt mit Gottfried Michael Koenig und führten schließlich zur Entwicklung von verschiedenen Software-Environments für computergestützte Komposition.

Zwischen 1990 und 1994 wirkte Karlheinz Essl als „Composer in Residence“ bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Zwischen 1992/93 arbeitete er an einem Kompositionsauftrag des IRCAM in Paris und entwickelte dort eine Software-Bibliothek für algorithmische Komposition (RTC-lib). Neben seiner Lehrtätigkeit am Studio for Advanced Music & Media Technology (im Rahmen des Anton Bruckner Privatuniversität Linz) betreut er als Musikintendant der Sammlung Essl zwei Konzertreihen mit Neuer und improvisierter Musik.

Werke von Karlheinz Essl werden bei den wichtigsten internationalen Festivals aufgeführt und sind bei der Universal Edition (Wien), Breitkopf & Härtel (Wiesbaden) und TONOS (Darmstadt) verlegt. Daneben pflegt er die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Kunstsparten, Radiokunst und Musikinstallationen.

Neben Instrumentalwerken und Kompositionen mit Live-Elektronik entstanden auch Realtime-Kompositionen, Improvisationskonzepte, Klanginstallationen, „site“-spezifische Musik- und Raum-Performances sowie Internet-Projekte. Ständige Auftritte als Live-Performer mit seinem selbstentwickelten computerbasierten Meta-Instrument m@ze°2 (Modular Algorithmic Zound Environment) im Bereich von New Electronic Musik und freier Improvisation.

Außerdem ist Essl auch als Musikschriftsteller tätig und veröffentlicht vorwiegend Aufsätze zur zeitgenössischen Kompositionstheorie. Zwischen 1991 und 1993 war er Chefredakteur von ton - der österreichischen Zeitschrift für Neue Musik. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit dem Design von HTML-Dokumenten im World-Wide Web.



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Updated: 5 Jan 2007

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